Im Vorwort zu der im Jahre 1990 erschienenen Neuauflage seines Werkes Strukturwandel der Öffentlichkeit bringt JÜRGEN HABERMAS zum Ausdruck, "daß ich, wenn ich heute noch einmal an eine Untersuchung des Strukturwandels der Öffentlichkeit herangehen würde, nicht wüßte, welches Ergebnis sie für eine Demokratietheorie haben würde - vielleicht eines, daß Anlaß wäre für eine weniger pessimistische Einschätzung."1
Der Einfluß der Massenmedien ist im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die politische Öffentlichkeit durchaus von ambivalenter Natur. HABERMAS bezieht sich in diesem Zitat einerseits auf die mittel- und osteuropäischen revolutionären Ereignisse des Jahres 1989, deren flächige Ausbreitung u.a. auf die Übertragung der Proteste im Fernsehen zurückgeführt wird. Diese Erkenntnis über die Möglichkeiten der Massenmedien zeigt, daß sie eben nicht nur die Wirkung der Verdrängung der Bürger aus der politischen Öffentlichkeit haben, sondern auch einer demokratischen Ausweitung förderlich sein können.
Andererseits bezieht sich HABERMAS auf die entstandene globale "Omnipräsenz der Ereignisse",2 die zu einer Entstrukturierung und Entdifferenzierung führt. Diese geht aber mit einer Individualisierung einher, die verbunden ist mit pluralisierten Lebensformen und der individuellen Konstruktion sozialer Bindungen.
Eine globale Vereinheitlichung, die zu erheblichen Teilen über globale Medien vermittelt wird, hängt so mit einer individualisierten Konstruktion von Gemeinschaften zusammen.
Die Bedrohung autoritärer Systeme durch eine weltweite Verbreitung von Fernsehprogrammen ist nur die eine Seite der neuen globalen Medienstruktur. Die andere Seite ist die auf der individuellen Ebene mit dem Internet entstandene Vernetzung unter Ausschluß der Gatekeeper-Funktion herkömmlicher Medien.
Optimistische Szenarien sehen gerade in den wirtschaftlich prosperierenden autoritären Staaten Südostasiens die Anbindung an das Internet als unumgänglich an, wenn der Anschluß an die technologische Entwicklung nicht verlorengehen soll. Diese notwendige Öffnung schlägt aber eine Schneise für eine nicht kontrollierbare, zivilgesellschaftliche politische Öffentlichkeit, die den Weg der Demokratisierung ebnet.
Kritische Stimmen heben hervor, daß in der Geschichte der Technik immer wieder ein möglicher demokratischer Charakter beim Erscheinen einer neuen Kommunikationstechnologie hervorgehoben wurde, was sich bisher aber stets als eine Fehleinschätzung erwiesen habe. Diese Sichtweise geht davon aus, daß Technologien einen eigenen Charakter aufweisen, der sie als demokratiegefährdend oder -fördernd identifiziert. Dem steht die Ansicht gegenüber, daß die Chance zur Unterstützung einer partizipatorischen Demokratie sowohl bei früheren technologischen Entwicklungen als auch im Zusammenhang mit der Entstehung des Internets nicht vom Charakter dieser Technologien bedingt wird, sondern mit der Art der Handhabung zusammenhängt. D.h., die Nutzungsmöglichkeiten hängen von einer Technologiepolitik ab, die entsprechende Voraussetzungen schafft.3
Die verschiedenen Arten der virtuellen Gemeinschaftsbildung sind in einem selbstorganisierten Netzwerk verbunden, das sowohl technisch als Verknüpfung von Computern als auch in Form eines sozialen Netzwerks von Menschen besteht.
Virtuelle Gemeinschaften haben somit immer auch einen Bezug zur realen Welt, denn sie bestehen aus realen Menschen, die die Netzwerke als Medium zur Kommunikation benutzen. Die Netze sind also in erster Linie Kommunikationsnetzwerke, die die Übermittlung von Nachrichten quasi in Echtzeit ermöglichen. Die Analogie der Struktur sozialer Bewegungen zu der des Internets zeigt sehr anschaulich, wie sich die Kommunikation über Computernetzwerke in eine in der Tendenz schon vorhandene Netzwerkstruktur einpaßt. Bezeichnend ist, daß gerade die flachen, horizontalen Strukturen unterstützt, während Hierarchien unterlaufen werden.
Daß das Virtuelle als mit der Realität rückgekoppelt betrachtet werden muß, deutet auf die Vorstellung des Internets als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.
Die Informationsgesellschaft als eine Komplexitätsreduktionsgesellschaft setzt sich deutlich ab von einer rein technisch determinierten Vorstellung einer Informationsgesellschaft; also von der Vorstellung, wir befänden uns bereits in einer solchen, weil sich mit dem Internet eine Infrastruktur ausbildet, die "Information" in einem nachrichtentechnischen Sinne einer wachsenden Schicht auf einfachem Wege verfügbar macht.
Die Informationsgesellschaft sollte nicht mit der bloßen Existenz des Internets identifiziert werden. Vielmehr implementiert das gesellschaftliche Ziel der Reduktion von Komplexität, daß das Internet zu diesem Zweck instrumentalisiert wird.
Die im letzten Abschnitt geschilderten Vorstellungen vom Internet als einer neuen Art zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit, die einen Raum für eine deliberative Demokratie stellen kann, entspricht den Zielsetzungen einer Komplexitätsreduktion. Die komplexe Struktur des Internets paßt sich der Komplexität der Problemstellungen an, denen die traditionelle Politik der industriellen Moderne nicht mehr gewachsen ist. Das Medium Internet stellt den Rahmen für eine globale politische Sphäre auf einer bürgernahen Ebene, den Rahmen mithin für eine Politik der zweiten Moderne, die sich an den Trends der Globalisierung und der Individualisierung orientiert.
Die gesellschaftlichen Entwicklungen des Internets sind keine linearen. Dies zeigt sich bei einer Betrachtung der virtuellen Gemeinschaften, die ein vielschichtiges Bild abgeben. Einerseits lösen sie das Individuum aus seinem traditionellen lokalen Umfeld und fügen es in ein themenorientiertes Umfeld außerhalb des alten raumzeitlichen Zusammenhanges ein. Es ergeben sich neue Interaktionszusammenhänge auf einer körperlosen Basis, die erst ansatzweise erforscht sind. Andererseits ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, einen Teil der Gemeinschaften an einen geographischen Ort anzuschließen und durch face-to-face-Beziehungen zu ergänzen. Es entstehen somit sowohl raumzeitlich unabhängige als auch lokal orientierte virtuelle Gemeinschaften.
Diese Entwicklung fügt sich in die Tendenzen der Dislozierung und Rückbettung im Zusammenhang mit der reflexiven Modernisierung ein. In diesem Sinne sind die gesellschaftlichen Entwicklungen des Internets als ein Teil der reflexiven Modernisierung und damit als in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebunden anzusehen. Sie sind aber auch eine Verstärkung dieser Entwicklung, indem sie die Entbettungsmechanismen in ein ideales Umfeld stellen, das mit seinen kommunikativen Möglichkeiten die raumzeitliche Unabhängigkeit auf die Spitze treibt.
Die Vorstellung von einer politischen Öffentlichkeit als kollektiver Intelligenz, als neuronalem Netzwerk, das einer selbstorganisierten ständigen Veränderung unterliegt, verdeutlicht in extremer Weise die Flexibilität, mit der eine deliberative politische Zivilgesellschaft sich auf wandelnde Problemstrukturen einstellen kann und so einem starren politischen System überlegen ist.
Das flexible Netzwerk bewältigt mit seiner eigenen komplexen Struktur die Komplexität und damit die Unsicherheit, die durch die Auflösung der traditionellen Strukturen in der reflexiven Modernisierung entstanden ist. Nur in diesem Zusammenhang kann das Internet mit einer Informationsgesellschaft respektive Komplexitätsreduktionsgesellschaft in Verbindung gebracht werden.
Die komplexitätssteigernde reflexive Modernisierung, die Informationsgesellschaft als eine Komplexitätsreduktion und das Internet als Medium einer komplexen politischen Struktur der zweiten Moderne bilden einen direkten Zusammenhang.
Jedoch stellt dies keine zwangsläufige Entwicklungslinie dar, sondern nur die Ideallinie einer demokratischen Weiterentwicklung der Gesellschaft.
Indem die Theorie der reflexiven Modernisierung auch die Vorstellung von einer Gegenmoderne hervorgebracht hat, läßt sich gleichermaßen ein anderes Szenario entwerfen, in dem die Komplexität durch die Entwicklung des Internets noch gesteigert wird. "Internet und ähnliche Hyperräume sind ein so komplexes Angebot, daß sich selbst diejenigen, die sie betreten können, nur schwer in ihnen orientieren können. ... Das ist der Januskopf jeder Technik, der auch beteiligt ist am Entstehen der Umschwungsituation der Moderne: Einerseits ist das, was nötig ist, ohne diese Technologien wohl nicht möglich, andererseits tragen diese Technologien durch ihr Dasein bereits zur Verschärfung des Problems bei."4
Wie bereits angedeutet, stehen die Anforderungen an eine Technologiepolitik auf dem Weg in eine Informationsgesellschaft, d.h. die Rahmenbedingungen der Entwicklung des Internets entscheiden über seinen zukünftigen Charakter.
Damit die Genese des Internets nicht zu einer Komplexitätssteigerung führt, darf die Entwicklung nicht sich selbst überlassen bleiben, sondern eine Integration der neuen Ressourcen in die Gesellschaft muß unterstützt werden. Dazu zählt sowohl die Sicherung des Zugangs für die gesamte Bevölkerung als auch eine "Alphabetisierungskampagne" im Umgang mit dem Internet und die Förderung von sozialen Bewegungen beim Einstieg in das Netz.
Die Kritiker der Vorstellung von Möglichkeiten einer demokratischen Nutzung des Internets gehen meist von dem Bild der "push-button-Demokratie" aus, das die Perspektiven einer horizontalen Ausweitung der politischen Öffentlichkeit ausschließt. HUBERTUS BUCHSTEIN z.B. sieht in den Eigenschaften der computervermittelten Kommunikation die Gefahr einer qualitativen Verschlechterung der politischen Öffentlichkeit sowie die Problematik einer Tendenz zur Aufhebung der Trennung von privatem und öffentlichem Bereich.5
Vergessen wird dabei leicht, daß es nicht darum geht, ob das Internet als gesellschaftlicher Raum entstehen soll oder nicht, sondern daß eine bereits laufende Entwicklung in Richtung einer Korrektur bestimmter defizitärer Entwicklungen im politischen Bereich gelenkt werden kann. Dabei spielt auch die Kritik an einer durch das Fernsehen geprägten politischen Öffentlichkeit eine Rolle.
Sinnvoller scheinen somit Ansätze zu sein, die von der vielstimmigen Kritik an einem konkurrenzdemokratischen politischen System westlichen Zuschnitts ausgehen und nach Verbesserungen fragen, die in einer computervermittelten Öffentlichkeit zu finden sein können.
So betont CLAUS LEGGEWIE das deliberative Potential des Internets, jedoch auch, daß dieses nur durch die Sicherstellung einer informationellen Grundversorgung, eine bürgernahe Verwaltung und eine gezielte Schulung der Bevölkerung im Umgang mit den neuen Kommunikationsmedien nutzbar ist.6
Das Problem liegt also bei einer Politik, die das Internet nur in Bezug auf seine Chancen als neuen Markt und Potential für Arbeitsplätze sieht, die in anderen Bereichen massenweise verloren gegangen sind und noch verlorengehen. "Das Internet ist da, und das einzige, was es noch auszuloten gilt, ist die Frage, wie man dem "gut informierten Bürger" in einem ohne Zweifel von Kommerz, Amüsement und Infotainement beherrschten Medien-Markt einen dauerhaften Zugang und Platz verschaffen kann."7
LEGGEWIE nimmt Bezug auf den Wandel der amerikanischen Internet-Politik von Ansätzen zu einer am günstigen öffentlichen Zugang und dem Universal Service orientierten Politik zu einer von der republikanischen Mehrheit des Kongresses bestimmten Deregulierungspolitik, die auf eine Ausdehnung der freien Märkte setzt. Die weiteren Interventionen der US-amerikanischen Regierung begünstigen die Bildung großer Oligopole im Bereich der Infrastruktur und des Informationsangebotes und beschneiden die Informationsfreiheit sowie die Nutzung von Verschlüsselungsprogrammen.8
Die Politik der EU und der deutschen Bundesregierung verläuft nach einem ähnlichen Muster. Die Positionspapiere, z.B. der "Bangemannreport" der EU von 1994, die Dokumentation des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie von 1995 oder der Bericht der Bundesregierung "Info 2000 - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft", sind auf die wirtschaftliche Entwicklung im Zeichen einer Deregulierung fixiert und betonen die Chancen für einen zukünftigen Arbeitsmarkt in dem expandierenden Multimedia-Bereich.9
Dementsprechend entwickelt sich das Internet in eine eher unpolitische Richtung, indem der Bereich des World Wide Web mit einer "top-down-Informationsverbreitung" plakativer Art die Möglichkeiten einer "bottom-up-Willensbildung" überlagert.10
Problematisch ist weiterhin die Nutzung der Netzwerke vornehmlich durch eine relativ deutlich abgegrenzte gesellschaftliche Gruppe. So ist die Charakterisierung des durchschnittlichen "Users" als eines männlichen, weißen, englischsprachigen Studenten oder Hochschulabsolventen mit einem relativ hohen Einkommen fast schon sprichwörtlich.
Tatsächlich zeigen Erhebungen zur Zusammensetzung der Internetanwender, daß diese von einem Bevölkerungsquerschnitt weit entfernt ist. Das Durchschnittsalter betrug im April 1997 35,98 Jahre, einen Collegeabschluß oder vergleichbares konnten 31,63 % aufweisen und fast die Hälfte wies ein Haushaltseinkommen von mehr als fünfzigtausend Dollar auf. Der Anteil der Frauen ist von 15,53 % im April 1995 auf 31,30 % angestiegen. Dies ist aber kein weiterhin anhaltender Trend, da sich der Wert zumindest in den USA seit Oktober 1996 kaum verändert hat. Zwischen den USA und Europa lassen sich starke Unterschiede feststellen. So lag der Frauenanteil im April 1997 in Europa bei 14,64 %, wobei dieser sogar seit dem vorhergehenden Oktober von 19,85 % abgesunken ist. Die Nutzer in Europa weisen darüber hinaus ein noch höheres Bildungsniveau auf, was auf einen überwiegenden Anteil von Studenten zurückgeführt wird, ebenso wie das niedrigere Einkommen.11
Für eine allgemeine politische Nutzung des Internets erweist sich diese Struktur ebenso hinderlich wie die Tatsache, daß weite Bereiche der Erde keinen Zugang zu Internetressourcen haben und in absehbarer Zukunft auch kaum bekommen werden, so daß sich eine "globale" politische Öffentlichkeit des Internets eher auf die wirtschaftlich entwickelten Staaten beschränken würde. Allerdings gibt es auch in den ärmsten Ländern Bestrebungen hinsichtlich einer Etablierung des Internets, wobei dieses vornehmlich als wichtige Informationsquelle für wissenschaftliche Arbeiten und Verbindung zu Wissenschaftlern in anderen Ländern angesehen wird. Dies könnte viele Wissenschaftler, die sonst aufgrund der schlechten Bedingungen in die Industriestaaten abwandern würden, zum Verweilen im eigenen Land anregen.
Als Problem erweist sich bei der Verbreitung von Computernetzwerken in den Entwicklungsländern, daß die Weltbank auf einer privatisierten Ausbreitung des Informationssektors besteht, wobei die Entwicklung des Internets mit Hilfe öffentlicher Gelder in den USA und Europa, die aufgrund allein privater Initiative wahrscheinlich gar nicht denkbar gewesen wäre, mißachtet wird. Das Ergebnis ist die Dominierung des Internets in den Entwicklungsländern durch transnationale Anbieter amerikanischen Ursprungs, die fast ausschließlich örtliche Niederlassungen ausländischer Firmen als zahlungskräftige Kunden aufweisen.12 Besser wäre es, die Anbindung gemeinsam mit internationalen sozialen Bewegungen zu realisieren, die in Zusammenarbeit mit den Betroffenen die nötigen Maßnahmen treffen können, ohne finanzielle Interessen in den Vordergrund zu rücken und dabei zugleich eine Integration in die globale Öffentlichkeit des Internets einzubeziehen.
Um die politischen Möglichkeiten des Internets in demokratischer Hinsicht sinnvoll zu nutzen, ergibt sich als Handlungsnotwendigkeit zunächst die Sicherstellung der Zugangsmöglichkeit für die gesamte Bevölkerung, was z.B. durch die Bereitstellung öffentlicher Terminals in Bibliotheken etc., aber auch durch finanzielle Unterstützung des Computerbesitzes in ärmeren Bevölkerungsgruppen oder die Förderung entsprechender sozialer Bewegungen oder Bürgerinitiativen. In diesem Zusammenhang ist auch eine Entwicklungsperspektive für die Gewerkschaften zu sehen, deren sinkende Mitgliederzahlen, aber ebenso die sich ändernde Struktur der Arbeitsgesellschaft in Richtung von Telearbeitsplätzen u.ä., Überlegungen hinsichtlich einer Änderung der gewerkschaftlichen Arbeit geboten erscheinen lassen. Diese könnte die Bereitstellung von Internet-Zugängen für die Mitglieder ebenso beinhalten wie die intensive Nutzung der computervermittelten Kommunikation in der Organisationsstruktur, die hinsichtlich eines selbstorganisierten Netzwerkes modifizierbar wäre, wobei auch eine Öffnung für größere gesellschaftliche Kreise erwogen werden sollte.13 Hier liegen auch Möglichkeiten, die kommunikativen Potentiale des Internets zu einer deliberativen Informationserzeugung aus öffentlichen Debatten heraus zu nutzen, was auch für die Parteien eine Perspektive darstellt, um sich gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen.
Eine Schulung im Umgang mit den Netzressourcen ist ebenso wichtig wie die breite Zugangsmöglichkeit, um im Umgang mit Computern unerfahrene Bevölkerungsteile nicht von wichtigen Entwicklungen abzuschneiden. Besonders wichtig ist im Hinblick auf die einseitige Struktur der Nutzer eine gezielte Förderung der unterrepräsentierten Bevölkerungsteile, also der Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau, geringem Einkommen und besonders auch der Frauen, um eine Repatriarchisierung der Gesellschaft zu verhindern. Dies könnte ebenfalls eine Aufgabe gesellschaftlicher Organisationen und sozialer Bewegungen sein, hier ist aber auch die Vernetzung der Schulen und die entsprechende Heranführung der Schüler an den sinnvollen Umgang mit Computernetzen im Unterricht gefordert.
Diese wären auch in der Lage, spezielle gesellschaftliche Gruppen zu vernetzen und so "Erfahrungs- und Praxisraeume, die in unserer Gesellschaft mit kulturellen, rechtlichen oder oekonomischen Mitteln tabuisiert, unsichtbar gemacht oder zum Schweigen gebracht werden,"14 sichtbar zu machen und damit den Bereich des Politischen gegenüber traditionellen Maßstäben zu erweitern.
Die hier angedeuteten notwendigen Entwicklungslinien zeigen, daß die Nutzung der Computernetze als Medium einer selbstorganisierten netzwerkartigen Politik der zweiten Moderne nicht von heute auf morgen realisierbar ist, sondern sich nur als einen langfristiger Entwicklungsprozeß ansehen läßt, der in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung eingebunden ist.
Diese Rückkopplung mit allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen verdeutlicht auch, daß die Frage nach der politischen Dimension des Internets keine Entscheidung sein kann, ob es diese Dimension geben soll oder nicht, sondern wie sie aussehen wird. Bei einer weiteren Expansion des Netzes wird dieses auch eine spezifische politische Landschaft ausbilden, so daß nur ihr Charakter zu erforschen und gegebenenfalls zu beeinflussen bleibt.
In diesem Sinne ist eine Technologiepolitik notwendig, die die Bürger in die Planung mit einbezieht. "Als Faustregel gilt wohl: Je demokratischer (oder demokratieverträglicher) Technologie- und in diesem Fall Telekommunikationspolitik gestaltet ist, desto günstigere Wirkungen kann auch die implementierte Technologie entfalten."15
Ob sich eine demokratische Nutzung der Kommunikationsstrukturen des Internets entwickeln wird, hängt also wesentlich von einer entsprechenden politischen Rahmensetzung ab.
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1 Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt a.M. 1990, S. 49f.zurück
2 Ebd.zurück
3 Vgl. Benjamin Barber: Coca Cola und heiliger Krieg. Wie Kapitalismus und Fundamentalismus Demokratie und Freiheit abschaffen, Bern, München, Wien 1996, S. 279ff. Vgl. ebenfalls Achim Bühl: CyberSociety. Mythos und Realität der Informationsgesellschaft, Köln 1996, S. 228ff.zurück 4 Gernot Wersig: Die Komplexität der Informationsgesellschaft, a.a.O., S. 23. zurück
5 Vgl. Hubertus Buchstein: Bittere Bytes: Cyberbürger und Demokratietheorie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 44 (1996) 4, S. 583-607.
Als kritische Perspektive vgl. auch Ludger Kühnhardt: Wieviel Bytes verträgt der Staat?, internationale Konferenz über die Werte der Informationsgesellschaft, Bonn 9.9.1996, online in Internet: URL: http://www.iid.de/macht/.zurück
6 Vgl. Claus Leggewie: Netizens oder: der gut informierte Bürger heute, a.a.O., Kapitel 1.3.zurück
7 Claus Leggewie, a.a.O., Kapitel 1.4.zurück
8 Die langwierige und heftige Diskussion um den "Clipper Chip" und das geplante Verbot von Kryptographieprogrammen wird im Namen der Sicherung der Privatsphäre geführt. Die potentielle Möglichkeit des Staates zur Überwachung der Korrespondenz im Internet ruft auch Befürchtungen unter dem auf FOUCAULT bezogenen Stichwort des Panopticons hervor. Der "Chaos Computer Club", traditionell engagiert bei der Aufdeckung von Lücken in der Datensicherheit, vergleicht z.B. die Hinterlegung aller Kryptographie-Schlüssel bei einer staatlichen Stelle, ein Vorschlag von Bundesinnenminister Kanther, mit der Hinterlegung des Haustürschlüssels oder der Geheimnummer der EC-Karte bei der nächsten Polizeiwache. Der Electronic Decency Act hingegen, der die Verbreitung unanständigen Materials und die Verwendung bestimmter Worte unter Strafe stellt, wird u.a. von HOWARD RHEINGOLD angegriffen: "The threat of uncontrollable communications among citizens, not the pornographic pictures or taboo words that a tiny potion of the online population publish, is why freedom of expression is under attack. "Decency" is a smokescreen. It's about power." Howard Rheingold: Democracy is about Communication, 1996, online in Internet: URL: http://www.well.com/user/hlr/texts/democracy.html. Vgl. auch verschiedene Stellungnahmen des Chaos Computer Club Hamburg unter: URL: http://www.ccc.de/. zurück
9 Allerdings hat sich in den Berichten der EU, z.B. dem der Gruppe hochrangiger Experten oder des Forums Informationsgesellschaft, seit dem Jahre 1996 der Ton etwas geändert. Es scheint sich eine Akzentverschiebung zu den Belangen der Bevölkerung, zu sozialen Aspekten und auch den Chancen einer demokratischen Partizipation zu vollziehen. Vgl. Andreas Boes: Neue Möglichkeiten zur politischen Gestaltung der Informationsgesellschaft?, Marburg 1997, online in Internet: URL:http://staff-www.uni-marburg.de/~boes/texte/stand1.html und Rainer Rilling: Auf dem Weg zur Cyberdemokratie?, Marburg 1996, online in Internet: URL: http://staff-www.uni-marburg.de/~rillingr/bdweb/texte/cyberdemokratie-text.html. Die Veröffentlichungen der EU zur Informationsgesellschaft sind auf dem ISPO-Server zu beziehen: URL: http://www.ispo.cec.be. Der Bericht "Info 2000. Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft." findet sich unter URL: http://www.kp.dlr.de/BMWi/gip/programme/info2000/. zurück
10 Rainer Rilling, a.a.O., Kapitel 2. zurück
11 Vgl. GVU - User Surveys, 1995 - 1997, Graphics, Visualisation and Usability Center , College of Computing, Georgia Institute of Technology, Atlanta, online in Internet: URL: http://www.ccgatech.edu/gvu/user_surveys/. zurück
12 Vgl. Asrad Torres, Pascal Renaud: Internet - Eine Chance für den Süden, in: Le Monde diplomatique Nr. 4851, 16.2.1996, S. 8-9. zurück
13 Vgl. Wilfried Hölzer: Gewerkschaften und Datennetze, Referat zur Konferenz Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie, Hamburg 19.-21.1.1996, online in Internet: URL: http://staff-www.uni-marburg.de/~rillingr/imd/texte/hoelzer.html. zurück
14 Rainer Rilling, a.a.O., Kapitel 5. zurück
15 Claus Leggewie, a.a.O., Kapitel: Fazit. zurück
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