Ralf Ehe: Die "Informationsgesellschaft" und die politische Dimension des Internets

6 Elektronische Demokratie

Bis zum Jahre 1989 war die Politik durch den Ost-West-Gegensatz in feste Formen eingepaßt, deren Grundlagen mit dem Ende der sozialistischen Regierungen in Mittel- und Osteuropa verschwunden sind. Erst nachdem die gegnerischen Regime abgelöst worden sind, ergibt sich eine unverzerrte Sicht auf das westliche politische System, dessen Krisensymptome zuvor von dem vergleichenden Blick auf den ideologischen Gegner verdeckt waren. Nachdem sich mit dem Verschwinden der sozialistischen Staaten schon eine weltweite Verbreitung der liberalen Demokratie abzuzeichnen schien, die als das vieldiskutierte Ende der Geschichte 1 angesehen wurde, gerät die westliche Demokratie selbst zunehmend in die Diskussion. Im Vordergrund stehen dabei wirtschaftliche Krisensymptome wie die wachsende Arbeitslosigkeit bei steigenden Unternehmensgewinnen, die Ansehensverluste der politischen Eliten, die sinkenden Wahlbeteiligungen oder die Erschütterung des gesamten Parteiensystems wie in Japan und in Italien, so daß sich die Frage stellt, ob "die Legitimität, derer sich die demokratischen Systeme Westeuropas für Jahrzehnte erfreuen konnten, nur ihrer Konfrontation mit dem Totalitarismus geschuldet war." 2

6.1 Die Erfindung des Politischen

 

6.1.1 Die Krise des konkurrenzdemokratischen Systems



Die Betrachtung der repräsentativen Demokratien westlichen Zuschnitts als Konkurrenzkampf verschiedener politischer Eliten um die Wahlstimmen des Volkes geht auf JOSEPH A. SCHUMPETER zurück. Schumpeter nimmt Abstand von den Vorstellungen der klassischen Demokratietheorie, die einen von der Regierung umzusetzenden allgemeinen Willen des Volkes voraussetzt. Er sieht die demokratische Methode als die "Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben."[3
Die Vorstellung des Konkurrenzkampfes um die Wählerstimmen wird in Analogie zu der Wirkungsweise des Marktes gesehen, wobei die in Parteien organisierten Eliten die Anbieter und das Wahlvolk die Konsumenten sind. Entsprechend der Beeinflussung der Konsumenten durch die Händler werden auch die Wahlentscheidungen durch Werbekampagnen beeinflußt, so daß die Entscheidung nicht aus eigener Initiative entsteht, sondern "geformt" wird, "und diese Formung ist ein wesentlicher Teil des demokratischen Prozesses."[4 Die Rolle des Volkes wird in der Aufgabe gesehen, eine Regierung hervorzubringen, wobei das Prinzip der Demokratie darin verstanden wird, daß diejenigen die Regierung übernehmen, die mehr Unterstützung als die Konkurrenten erhalten.[5 Alle über den Wahlakt hinausgehenden Handlungen sind von der Arbeitsteilung zwischen Politikern und Volk geprägt, d.h., die Politik ist die alleinige Angelegenheit der gewählten Personen. Die Parteien stehen nicht im Zeichen der Förderung des Allgemeinwohls, sondern bilden "eine Gruppe, deren Mitglieder willens sind, im Konkurrenzkampf um die politische Macht in Übereinstimmung miteinander zu handeln."[6 Letztlich wird die Demokratie auf die "Idee einer vom Volk gebilligten Regierung"[7 reduziert.
Die Notwendigkeit eines Konsenses, "der aus der übereinstimmenden Anerkennung eines Minimums allgemein gültiger Verfahrens- und Verhaltensregeln entsteht,"[8 wird von ERNST FRAENKEL im Zusammenhang mit der Konkurrenzdemokratie hervorgehoben. Während er die Annahme eines universalen Gemeinwillens, wie er in den klassischen Demokratietheorien unterstellt wird, für utopisch hält, sieht er einen nicht kontroversen Sektor als eine gesellschaftliche Grundlage, über die hinaus es in einer pluralistischen Demokratie "einen weiteren Sektor des Gemeinschaftslebens gibt, einen Sozialbereich, in dem ein consensus omnium nicht besteht, ja nicht einmal bestehen soll: der Bereich der Politik."[9
Wenn allerdings der dem zugrundeliegende Konsens fehlt, es zu einer staatlichen Desintegration kommt, oder wenn eine breite Willensbetätigung der Bevölkerung nicht zustande kommt, der Staat somit den Pluralismus in einer Maschine erstarren läßt, bildet die Demokratie Strukturfehler aus.[10 Die Wahlen dürfen nicht auf die Entscheidung zwischen zwei Persönlichkeiten, die in Aussehen und Auftreten miteinander konkurrieren, reduziert werden, sondern sollen eine Fortsetzung der Parlamentsdebatte im Volk sein, um "die Repräsentationsverfassung mit jenem guten Schuß plebiszitären Öls zu salben, ohne die sie rostig wird."[11 Mithin ist es erforderlich, in einer Konkurrenzdemokratie die politische Auseinandersetzung im Prozeß der Willensbildung in allen Phasen öffentlich auszutragen und die Beteiligung der Bevölkerung nicht allein auf die Wahlen zu beschränken.
Die seit einigen Jahren anhaltende Diskussion um die Krise der Demokratie und besonders des Parteiensystems weist darauf hin, daß sich ein Strukturfehler des politischen Systems zu entwickeln droht, indem die Verbindung zwischen Bevölkerung und Politik in Form des Grundkonsenses sich auflöst. Den politischen Eliten wird nicht zugetraut, die in Folge des Umbruchs von 1989 entstandene Situation zu meistern. Statt dessen werden sie als politische Klasse angesehen, die sich vor allem auf die Machterhaltung konzentriert.[12 Dabei steht besonders das Parteiensystem im Kreuzfeuer der Kritik. Die Parteien sind die "maßgeblichen Instanzen der Machtausübung"[13, indem sie den Volkswillen organisieren, die Tätigkeiten der Regierung und des Parlaments beeinflussen und auch in nichtstaatlichen Institutionen bestimmend tätig sind. Ihnen wird vorgeworfen, anstatt eines Verbindungsgliedes zwischen Volk und Staat zum Selbstzweck geworden zu sein. HANS HERBERT VON ARNIM wirft den Parteien vor, das Volk zu entmündigen und gleichzeitig eher eigennützig als für das Volk zu handeln.[14 Tendenziell ersetzen die Parteien das Volk, so daß dieses weder einen Einfluß auf die Auswahl der Politiker noch auf die Inhalte der Politik hat, während die Parteien den Grundsatz der Gewaltenteilung und das Konkurrenzprinzip unterlaufen, indem sie "parteiübergreifende politische Kartelle"[15 bilden. Die Politikverdrossenheit ist darüber hinaus auf eine "Problemlösungsschwäche" des politischen Systems zurückzuführen, also die Unfähigkeit oder den Unwillen, wichtige Probleme zu bewältigen. Schließlich hebt VON ARNIM das vorrangige Interesse der Amtsträger an der eigenen Position hervor, das auf Kosten der sachorientierten Politik geht. "Es dominiert das Eigeninteresse an Macht, Posten und Stellen, und das führt...dazu, daß die Diener sich zu Herren aufschwingen und Parteien, Verbände und öffentlicher "Dienst" den Staat zunehmend ausbeuten."[16
KLAUS VON BEYME betont, daß die Diskussion um die Politikverdrossenheit, die sich hauptsächlich um die Finanzierung der Politik und die Entmündigung des Volkes dreht, den eigentlichen Kern des Problems meist ausspart. Die Politikverdrossenheit wurde erst zum Thema als sich der Eindruck verstärkte, die sich ausbreitenden Probleme könnten von dem politischen System nicht mehr gelöst werden. "Die Entlegitimierungstendenzen im politischen System, die nicht zu leugnen sind, liegen weniger in den Privilegien der politischen Klasse als in der zunehmenden Unfähigkeit der politischen Elite, die sozialen Folgen der deutschen Einheit zu bewältigen."[17
Diese Ansicht korrespondiert mit der von der Theorie der reflexiven Modernisierung vertretenen Auffassung der Entwicklung der Politik, wie sie ULRICH BECK formuliert hat. Die Formen des Politischen waren lange Zeit durch den Ost-West-Gegensatz festgeschrieben, so daß der Politik wenig Spielraum blieb, was durch Auseinandersetzungen um geringe inhaltliche Differenzen überspielt wurde. Mit dem Jahr 1989 hat sich die Situation grundlegend verändert, da der Westen den politischen Gegner verloren hat, weshalb nicht mehr der Unterschied zwischen den westlichen demokratischen und den sozialistischen Systemen im Blickpunkt ist, sondern die Defizite der liberalen demokratischen Systeme selbst in die Diskussion geraten.[18 Die mit dem Jahr 1989 auftretenden neuen Problemstellungen treffen auf das unveränderte politische System, welches mit den alten Kategorien die neue Situation nicht mehr erfassen kann. Die Ursprünge der Veränderung liegen dabei viel weiter zurück als das Jahr 1989, so z.B. die von der Industrialisierung herbeigeführte Umweltzerstörung, jedoch verdeckte das alte System die Anzeichen einer reflexiven zweiten Moderne, so daß viele Entwicklungen erst jetzt wirklich deutlich werden.
An den im Zusammenhang mit der Politikverdrossenheit hauptsächlich kritisierten Parteien wird diese Entwicklung deutlich, da die Zustimmung von Seiten der Bevölkerung für das Parteiensystem insgesamt zurückgeht, was sich in einer sinkenden Wahlbeteiligung äußert. Überzogen formuliert, bedeutet dies, daß Wahlen durch die geringeren Stimmenverluste an die Gruppe der Nichtwähler gewonnen werden. "Wahlen werden gewonnen nicht durch Zustimmungsmehrheiten, also dadurch, daß eine Partei die besseren Kandidaten und Programme vorstellt, sondern dadurch, daß sie das Nichtwähler-Potential durch das Ausmaß ihrer Skandale und ihres Versagens weniger erhöht als die Konkurrenzpartei."[Hervorhebung im Original][19 Begründet liegt diese Entwicklung in der Fundierung der Parteien auf festen Milieus, auf einem deutlich kontrastierten Links-Rechts-Schema, das sozusagen als Grundkonsens die Zustimmung oder Ablehnung zu bestimmten Themen von verschiedenen Seiten im vorhinein festlegt. Durch Individualisierungsprozesse haben sich diese klaren Unterstützungsmilieus aufgelöst, so daß die Entscheidung für eine bestimmte Seite vornehmlich von den diskutierten Themen abhängt. Das Parteiensystem unterliegt so dem der reflexiven Modernisierung immanenten Prozeß der Enttraditionalisierung, wodurch es destabilisiert wird. Die ehemals mit der Ausbildung der Parteien zusammenhängende Einteilung der Bevölkerung in Klassen läßt sich nicht mehr aufrechterhalten. Wird nicht von einer Auflösung der Klassen unter Berufung auf die Individualisierung gesprochen, so zeichnet sich doch zumindest eine Neueinteilung - sei es nun in Klassen oder auch Milieus - ab, die quer zu einer traditionellen Einteilung der Parteianhängerschaft liegt und sich eher an Bildungsunterschieden oder dem Freizeitverhalten orientieren.[20
Die Parteien bleiben trotzdem weiterhin ein bestimmender Faktor des politischen Systems, da "das Parteiensystem selbst direkt nicht abwählbar ist und die Parteien die Macht überall besetzt haben und halten."[21

6.1.2 Die Demokratisierung der Demokratie



Während die offizielle Politik in den alten Bahnen weiterläuft, bildet sich eine regelverändernde Politik aus, die als reflexive Politik das Regelsystem modifiziert. Die regelgeleitete Politik der ersten Moderne bleibt bei den alten Kategorien von Links - Rechts, Arbeit - Kapital, Verbänden - Parteien. Die regelverändernde Politik der zweiten Moderne hingegen strebt einem Umbau des Regierungssystems zu, einer tendenziellen Selbstauflösung der Regierung nach oben und unten, indem die Entscheidungskompetenzen einerseits an übernationale, globale Instanzen und andererseits an unter der nationalen Ebene liegende Stellen abgegeben werden.[22 Wohlgemerkt ist dies eine idealisierte Darstellung, die sich nicht so entwickeln muß, was in Anbetracht möglicher gegenmoderner Tendenzen deutlich wird.
Der herkömmliche Staatsapparat zeigt sich angesichts hoher Arbeitslosigkeit, ökologischer Zerstörungen und Finanzkrisen bewegungsunfähig sowie ohne Problemlösungsperspektiven.
Dem steht die neue Erfindung des Politischen gegenüber, einer selbstschöpferischen Politik, die den alten Gegnerschaften neue Inhalte, Formen oder Koalitionen entgegensetzt. Zum einen vollzieht sich eine Änderung der Qualität der Politik innerhalb der alten Institutionen, sozusagen eine Entkernung des Politischen unter Beibehaltung der alten Eliten. Zum anderen vollzieht sich eine Umwandlung des Staates, der seine überkommenen Aufgaben abgibt und neue globale Aufgaben übernehmen muß.
Diese neuen Aufgaben liegen in einem trans- und internationalen Regieren, das durch die globalisierten Zusammenhänge in der Wirtschaft, in Sicherheitsfragen, der Kultur und der Ökologie notwendig wird. Die Beziehungen zwischen Staaten, aber vor allem auch nichtstaatliche gesellschaftliche Beziehungen über nationale Grenzen hinweg, müssen Normen und Regeln unterworfen werden, um die durch globale Ursachen bedingten Krisen bewältigen zu können. Die nationalen Regierungen stehen der Reduktion der Handlungsspielräume meist konzeptionslos gegenüber, was durch eine Überbetonung nationaler Themen zu kaschieren versucht wird. Dem soll ein modernes, auf internationale und transnationale Institutionen ausgerichtetes Regieren entgegengestellt werden, das eine umfassende Demokratisierung einschließt, damit die internationalen Institutionen auf die Menschen ausgerichtet werden und nicht "an den Regelungsadressaten vorbeiregieren."[23 Ein komplexes Weltregieren zielt deshalb "auf ein komplexes und ineinander verwobenes Netz von internationalen, transnationalen und subnationalen Institutionen, die weitgehend auf nicht-hierarchischen Formen der politischen Selbstorganisation beruhen."[24
Der Staat als Handlungsort der nationalen Politik weicht hingegen der sich ausbreitenden Subpolitik, die ebenfalls auf einer Selbstorganisation beruht. Die Aufgabe, die dem Staat dabei zufallen könnte, ist die Aufrechterhaltung der Verhandlungsfähigkeit in der Gesellschaft. "An die Stelle des Handlungsstaates tritt der Verhandlungsstaat, der Bühnen und Gespräche arrangiert und dabei die Regie führt." [Hervorhebung im Original][25 BECK spricht in diesem Zusammenhang von dem Absterben des Staates und meint damit, daß die selbstorganisierte Subpolitisierung den Staat mit seinen klassischen Aufgaben überflüssig macht, bzw. der Staat mit seinen herkömmlichen Institutionen den veränderten Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. Deshalb ändern sich mit den Aufgaben des Staates auch seine Institutionen. Die neu zu erschließenden Aufgaben des Staates werden in den Bereichen vermutet, die grundsätzlich als nicht verhandlungsfähig angesehen werden, wobei es sich z.B. um die Interessen der "Noch-nicht-Geborenen", die Erhaltung der Natur (die ja als "Natur" im Sinne von Unberührtheit schon nicht mehr existiert) oder den Aufbau einer globalen Ordnung handeln könnte. Eine reflexive Politik bedeutet letztlich eine Infragestellung klassischer staatlicher Aufgaben mit den dazugehörigen Institutionen, woraus sich auch eine Neubildung von Aufgaben und Institutionen ergibt, die vornehmlich im Bereich der nicht verhandelbaren Grundlagen zu suchen sind.
Da eine Zurückverlagerung organisierter Interessen in die Gesellschaft "in der herrschenden Parteienoligarchie kaum Durchsetzungsmacht"[26 finden wird, bietet sich der Weg über eine Bürgergesellschaft an. Diese kann durch die Einführung plebiszitärer Verfahren ebenso erreicht werden wie durch eine demokratische Umstrukturierung vorhandener Institutionen des politischen Systems, also der Parteien, Gewerkschaften oder auch der Verbände. Denkbar wäre z.B. eine Beteiligung der Wähler an der Aufstellung von Kandidaten oder eine an Themen orientierte Verbindung über Parteigrenzen hinweg. Somit läge eine Koppelung der nicht institutionalisierten Subpolitik an überkommene, aber fundamental umorganisierte politische Institutionen im Bereich des Möglichen.
Durch die Entwicklung der Subpolitik in den Bürgerinitiativen, die sich vor allem angesichts der drohenden Umweltzerstörung gebildet haben, ergibt sich eine Verlangsamung, ein Versanden der vormals gut funktionierenden politischen Prozesse, was als ein Schritt der Selbstbegrenzung angesichts einer drohenden Selbstzerstörung anzusehen ist. Mit dem Verfall der alten Strukturen entstehen neue Koalitionen über bestehende Grenzen hinweg. "Das allgemeine Durch- und Gegeneinander innerhalb und außerhalb der Institutionen erzwingt und begünstigt die Herausbildung persönlich geknüpfter und zu erhaltender Unterstützungsnetzwerke über die Grenzen von Systemen und Institutionen hinweg."[27
ANTHONY GIDDENS führt angesichts der Enttraditionalisierung sowie des Verschwindens der Natur eine Politik der Lebensführung ein, die sich auf die entstandene Entscheid- und Wählbarkeit sämtlicher Lebenszusammenhänge bezieht.[28 Diese neue Offenheit hat vielfältige Konsequenzen, die in den politischen Kategorien der ersten Moderne wie dem Links-Rechts-Schema keinen Widerhall finden, so daß die Akzeptanz in der Bevölkerung für die herkömmliche Politik sinkt. Beispielhaft für diese Entwicklungen ist die Freiheit, die es Frauen erlaubt, ihre Ehe zu beenden, was einerseits einen Zuwachs an selbständiger Lebensführung bedeutet, aber auf der anderen Seite auch viele alleinerziehende Frauen in eine neue Form der Armut führt. Ebenso wird auch die bisher als schicksalhaft erscheinende Selbstverständlichkeit der Berufstätigkeit und die zentrale Stellung des Berufslebens allgemein, zumal anhand einer ständig wachsenden Zahl von Arbeitslosen, immer mehr in Frage gestellt. Nicht zuletzt muß auch die ökologische Problematik erwähnt werden, die die Menschen allgemein mit der Frage konfrontiert, ob z.B. die Orientierung an einem stetigen Wirtschaftswachstum angesichts drohender ökologischer Gefahren noch aufrecht erhalten werden soll.
Die hergestellte Unsicherheit der Lebensführung, von einer vergangenheitsorientierten Bestimmtheit durch Traditionen auf eine zukunftsorientierte Offenheit umgeschwenkt, bedingt die Erzeugung von aktiven Vertrauens in Personen oder Institutionen. Es ergibt sich eine Bevorzugung von institutionellen Zuständen, die von unten beeinflußbar sind, ein gewisses Maß an Autonomie gewähren und eine Dezentralisierung unterstützen.
Die bedeutende Rolle des aktiven Vertrauens bewirkt eine umfassende Demokratisierung gesellschaftlicher Beziehungen über den traditionellen Bereich der Politik hinaus. Da die persönlichen Beziehungen nicht mehr durch Traditionen bestimmt werden, entwickeln sich auf aktivem Vertrauen beruhende reine Beziehungen, die auf einer gegenseitigen Öffnung basieren und ein hohes Maß an Kommunikation voraussetzen.[29 Neben sexuellen und freundschaftlichen Beziehungen ordnet GIDDENS auch eine veränderte Eltern-Kind-Beziehung in diesen Trend ein, die nicht auf Autorität beruht, sondern die elterlichen Maßnahmen im Dialog begründungspflichtig macht.
Diese Entwicklung steht im Zeichen einer dialogischen Demokratie, die auch im Bereich der sozialen Bewegungen und Selbsthilfegruppen alte Relationen der ersten Moderne in Frage stellt und neue Themen in die Diskussion einbringt, was sich auch auf einer globalen Ebene abspielt, wo globale Bewegungen - an der staatlichen Organisation vorbei - die Selbsthilfe z.B. im ökologischen Bereich über kommunikative Beziehungen organisieren.
Im politischen Bereich ordnet GIDDENS der dialogischen Demokratie die deliberative Demokratie zu, die danach strebt, eine Übereinstimmung durch zwanglos geführte Diskussion zu erreichen. Dabei ist nicht die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die demokratischen Prozesse, sondern das Zustandekommen einer öffentlichen Diskussion entscheidend, um eine transparente politische Sphäre herzustellen. Eine reflexive Demokratisierung steht im Zeichen einer dialogisch offenen Kommunikation nicht nur im Bereich der Politik, sondern auch im Alltagsleben und auf der globalen Ebene.[30
Die Institutionen deliberativer Demokratie sollten laut RAINER SCHMALZ-BRUNS die Bürger zur Autonomie ermutigen und solche Formen der Partizipation fördern, die "zu einer diskursiven Rationalisierung der Willensbildung beitragen."[31 Dabei steht nicht eine maximale Partizipation im Vordergrund, sondern eine optimierte Willensbildung und Entscheidungsfindung, worin gesteigerte Effizienz und Qualität, sowie eine erhöhte Legitimität durch eine verstärkte Bürgerbeteiligung enthalten sein sollen.
In einer komplexen Gesellschaft kommt der Öffentlichkeit die Funktion zu, "den Adressatenkreis von politisch relevanten Informationen und Themen über den engen Kreis institutioneller Akteure hinaus zu erweitern und die Produkte einer aufgeklärten öffentlichen Meinungs- und Willensbildung als Legitimationsressourcen und Rationalisierungsreserven in die im engeren Sinne politische Entscheidungsfindung zurückzuspeisen."[32
Laut JÜRGEN HABERMAS stellt die Öffentlichkeit ein "hochkomplexes Netzwerk" sich überschneidender Arenen dar, die räumlich in internationale, nationale, regionale oder subkulturelle verzweigt sind, sich thematisch untergliedern und in verschiedene Ebenen teilen, je nach Art der Öffentlichkeit episodisch (z.B. die Straßenöffentlichkeit), veranstaltet (die Präsenzöffentlichkeit von Veranstaltungen) oder abstrakt (in den Massenmedien).[33
Dieses Netzwerk der Öffentlichkeit dient SCHMALZ-BRUNS als Forum für die Institutionalisierung der Bürgergesellschaft, die das privilegierte staatliche Machtzentrum als institutionelles Steuerungsorgan ersetzen soll. Sie rückt "als ein spezifisch kommunikativ strukturierter Handlungszusammenhang und damit als der Ort, der sich für allgemeine Partizipationsansprüche am aufnahmefähigsten erweist, in den Mittelpunkt".[34 Dabei wird eine stärkere Institutionalisierung der Öffentlichkeit notwendig, die in problemzentrierten Politiknetzwerken, die sich um die kontroverse Politik bilden und die Betroffenen hochgradig beteiligen, langfristig angelegten kognitiven Politikanforderungen besser entsprechen und die spezifische Kompetenzen gesellschaftlicher Akteure besser nutzen kann als die auf Kurzfristigkeit und Querschnittigkeit angelegte konkurrenzdemokratische Politik.
Das Internet in seiner Eigenschaft als ein gegenüber den bisherigen Massenmedien völlig neu strukturiertes Medium entwickelt auch eine neue Form der medialen Öffentlichkeit, die unter Umständen der Entwicklung einer deliberativen Demokratie förderlich sein kann.


6.2 Perspektiven der politischen Gestaltung im Internet


6.2.1 Politische Öffentlichkeit im Internet



Das Internet unterscheidet sich in seinen strukturellen Eigenschaften deutlich von den etablierten Massenmedien. Ein Vergleich verschiedener Medien kann auf mehreren Ebenen vollzogen werden, wovon eine die zeitliche ist.[35 Dabei lassen sich synchrone und asynchrone Medientypen unterscheiden. Erstere sind zeitlich festgelegt, wie z.B. das Fernsehen oder das Radio, und können mit Interaktivität verbunden sein wie das Telefon. Asynchrone Medien können Nachrichten über einen Zeitraum speichern, so z.B. Anrufbeantworter oder gedruckte Informationen (in Büchern, Zeitungen etc.).
Das Internet mit seinen verschiedenen Diensten zählt zu beiden Gruppen und teilt mit anderen elektronischen Medien (Telefon, Fax, Radio, Fernsehen u.a.) die schnelle Übermittlung über weite Entfernungen und die günstige und einfache Speichermöglichkeit (im Gegensatz zu der "Speicherung" von Büchern etc. in Bibliotheken).
Des weiteren lassen sich Medien durch ihre Kommunikationsformen unterscheiden. Seit der Erfindung des Buchdrucks bis zur Entwicklung der Broadcast-Medien (Radio und Fernsehen) stehen die One-to-Many-Medien im Vordergrund. Ergänzt werden sie durch die One-to-One-Medien der persönlichen Kommunikation (z.B. Telefone oder persönliche Gespräche) und die Many-to-Many-Medien (persönliche Zusammentreffen von Gruppen oder telefonische Konferenzschaltungen). Auch hier verknüpft das Internet durch seine unterschiedlichen Dienste alle drei Eigenschaften miteinander. Verbunden mit den sehr niedrigen Übertragungs- und Empfangskosten bildet das Internet so ein Medium mit Vorteilen für die Kommunikation von Gruppen verschiedener Größe, unabhängig von der geographischen Verteilung der Mitglieder. Es ermöglicht eine billige, schnelle, globale, momentan vornehmlich textuelle persönliche Kommunikation.
Entgegen dem Ideal einer politischen Öffentlichkeit, die die Gesamtheit der Bürger in einen öffentlichen Diskurs zwecks eines Konsenses einbezieht, war die Öffentlichkeit bisher durch kleine, isolierte Face-to-Face-Gruppen und die öffentliche Kommunikation in One-to-Many-Medien geprägt. Die dieser Öffentlichkeit entsprechenden sozialen Bewegungen sind weniger spontane Zusammenschlüsse einzelner Bürger, sondern "gezielte Aktionen zentralistischer Mobilisierung."[36 Die zunehmende Konzentration der Massenmedien bildet eine Macht, die eine öffentliche Kommunikation kanalisiert und den Großteil der Bürger ausschließt. "Die durch Massenmedien zugleich vorstrukturierte und beherrschte Öffentlichkeit wuchs sich zu einer vermachteten Armee aus, in der mit Themen und Beiträgen nicht nur um Einfluss, sondern um eine in ihren strategischen Intentionen möglichst verborgene Steuerung verhaltenswirksamer Kommunikationsflüsse gerungen wird."[37
Dagegen erlaubt das Internet neben einer vertikalen Abwärtskommunikation auch eine Aufwärtskommunikation sowie vor allem eine horizontale Kommunikation auf hohem Niveau. Diese Transmedialität ist förderlich für eine demokratische Meinungsbildung auch in Großorganisationen wie Parteien und Verbänden, wo ein diskursiver Prozeß und plebiszitäre Abstimmungen an die Stelle von Führung und Propaganda treten können. Darüber hinaus verlieren die gesellschaftlichen Großorganisationen an Relevanz, da eine egalitäre politische Öffentlichkeit im Bereich des Möglichen liegt. "Erst mit den Computernetzen wird die Vorstellung einer gleichzeitig maximal öffentlichen und maximal interaktiven Kommunikationssphäre zu einer greifbaren Realität."[38
Während die Öffentlichkeit der Salons u.ä. in der Vergangenheit exklusiv war, ist die Öffentlichkeit der Massenmedien zwar inklusiv, jedoch für die Masse nur rezeptiv. Es besteht eine Kluft zwischen der "offiziösen" Öffentlichkeit und der privaten Kommunikation, da nur minimale Vermittlungsmechanismen bestehen. MARK S. BONCHEK spricht von den Issue Networks, die Presse, Organisationen und Regierungsinstitutionen unter Ausschluß der Öffentlichkeit verbinden. Über eine One-Way-Verbindung mit der Presse erhält die Öffentlichkeit selektierte Informationen.[39
Diese Kluft zwischen der öffentlichen und der individuellen Kommunikation kann durch die Strukturen des Internets überwunden werden. Durch den meist uneingeschränkten Zugang liegt der Schwerpunkt auf einer subinstitutionellen Ebene, die bisher der informellen Face-to-Face-Kommunikation vorbehalten war. Die selbstorganisierte Struktur der Kommunikation im Internet schließt eine Kontrolle und somit inhaltliche Beschränkungen weitestgehend aus. Es kommt zu einer größeren Themenvielfalt, die auch Divergenzen und Empfindlichkeiten mit einbezieht. Das polymorphe Kommunikationsfeld beinhaltet sowohl private Beteiligung als auch die Sichtweisen von organisierten Kollektiven und die offizieller Institutionen.[40 "Dies korrespondiert mit einer Gesellschaft, die im Gegensatz zur frühbürgerlichen Ära nicht mehr eine saubere Trennung zwischen "Staat" und "Gesellschaft" aufweist, sondern eine komplexe Gemengelage, die einerseits durch eine wachsende Interpenetration zwischen öffentlicher und privater Sphäre und andererseits durch ein disproportionales Anwachsen eines intermediären Bereiches der 'Paraöffentlichkeit'...gekennzeichnet ist."[41
Ein besonderes Merkmal der Interaktion im Internet ist die neue Rolle von äußeren Merkmalen, die auf den persönlichen Status schließen lassen könnten, worunter auch ansonsten nicht zu verbergende Attribute wie Hautfarbe oder Geschlecht fallen.[42 Ebenso spielt auch die Staatsangehörigkeit in einem grenzenlosen globalen Netz kaum eine Rolle und ist oft nicht klar erkennbar. Es ergibt sich eine Reduktion der Öffentlichkeit auf reine Kommunikation, die das Umfeld der Verfasser der Beiträge außer Acht läßt.
Die Öffentlichkeit des Internets überwindet die Abhängigkeit von zur Veröffentlichung notwendigen Großtechniken wie Sendetechnik oder Druckereien, wodurch das Zusammenspiel von offiziellen Institutionen, Großorganisationen und der Presse in den Issue Networks, die dazu tendieren, offizielle Verlautbarungen und Meinungen zu veröffentlichen, unterlaufen wird, so daß nichtoffizielle Meinungen eine größere Rolle spielen sowie Vielfalt und Heterogenität sich ausbreiten. Diese Entwicklung "vollzieht sich in umfassenden Maße ausserhalb der dominierenden Institutionen unserer Gesellschaft."[43 Sie beruht zum größten Teil auf freiwilliger Arbeit, die auch durch wachsende Freizeit aufgrund von Arbeitslosigkeit, Arbeitszeitverkürzungen, Freistellungen oder Einkommenssteigerungen ermöglicht wird, was ebenso als ein Grund für eine Ausbreitung sozialer Bewegungen zu sehen ist.
Die Möglichkeiten der globalen Organisation durch das Internet lassen die Vorstellung von einer übernationalen Ausdehnung bisher nationaler Institutionen zu. So könnten die Gewerkschaften den sich globalisierenden Konzernen folgen, wobei eine schon bestehende internationale gewerkschaftliche Zusammenarbeit als Ausgangsbasis dienen kann. Spekulativ bleibt dabei die Frage, ob die sich abzeichnende Abwendung von einheitlichen zu heterogeneren Tarifverträgen - vergleichbar dem von Giddens angeführten Zusammenhang von Lokalisierung und Globalisierung - auch eine Globalisierung tariflicher Verhandlungen nach sich zieht.
Auch ist eine Schwächung der von überregionalen Zeitungen und dem Fernsehen dominierten nationalen politischen Öffentlichkeit abzusehen, da der voraussetzungslose niederschwellige Zugang zur öffentlichen Kommunikation einerseits kleine, lokale öffentliche Räume, die in FreeNets oder digitalen Städten aufgebaut werden, und andererseits übernationale Kommunikationsebenen aufgrund fehlender nationaler Grenzen unterstützt.
Die aus der Aufklärung hervorgehenden Vorstellungen gehen von der Ausbildung einer öffentlichen Meinung aus, die als ein Konsens die allgemeine Vernunft ausdrücken soll. Dementsprechend wurde von der liberalen Demokratietheorie der Begriff eines einheitlichen Volkswillens entwickelt. "Nur dieser Glaube an die selbsttätige Konvergenzwirkung öffentlicher Kommunikation erlaubte es, die 'öffentliche Meinung' als eine (!) zentrale politische Kraft zu hypostasieren, der sich selbst die Herrscher zu beugen hätten."[Hervorhebungen im Original][44
Die sehr viel komplexere heutige Gesellschaft kann die Idee einer einheitlichen öffentlichen Meinung nur mit Hilfe der Massenmedien aufrechterhalten, indem eine kleine journalistische Elite diese erzeugt. Die Vorstellung von den Massenmedien als vierter Gewalt, die die Regierung kontrolliert, schiebt die Bürger wiederum in eine passive, rezeptive Rolle. Tatsächlich ist die öffentliche Meinung aber als sehr viel heterogener anzusehen. Sie manifestiert sich in Teilöffentlichkeiten, die z.B. von einem feministischen, homosexuellen oder auch religiösen Diskurs geprägt sind und in einem Zusammenhang mit der größeren Rolle der sozialen Bewegungen gesehen werden können. Die für kleine Teilöffentlichkeiten günstigen Bedingungen des Internets verstärken diese Heterogenität noch, so daß in den Computernetzen eine globale heterogene Öffentlichkeit entsteht, die zu einem allgemeinen Konsens nicht fähig ist, da ihr kein einheitliches politisches System zugrunde liegt und die Teile generell das Ganze gar nicht überblicken, mithin also für einen Konsens die Inhalte viel zu verschieden sind. Wirkungsvoll ist die Struktur des Internets hingegen, wenn verschiedene Sichtweisen und Lösungsansätze für einen Sachverhalt gefragt sind.
In über das Internet kommunizierenden Großorganisationen ist die Herstellung eines Konsenses sehr schwierig. Die einfache Partizipationsmöglichkeit bei Diskussionen ermuntert hingegen zur Teilnahme. So ist z.B. in Parteien eine viel stärker von der Basis ausgehende Diskussion zu erwarten, zumal die in der traditionellen Parteiorganisation vermittelnden Funktionäre durch direkte horizontale Diskussionen übergangen werden können. Es stellt sich natürlich auch die Frage, ob die bisherigen innerparteilichen Konsense nicht auf eine oligarchische Organisationsstruktur im Sinne ROBERT MICHELS' zurückzuführen sind und somit eine breitere Auseinandersetzung eher aufgrund der fehlenden Kommunikationsmittel bisher nicht zustande gekommen ist. Im Sinne der möglichen strukturellen Änderungen innerhalb bestehender Institutionen, die ULRICH BECK angesprochen hat,[45 könnten die gesellschaftlichen Großorganisationen durch eine computervermittelte Kommunikationsstruktur einen deliberativen Charakter annehmen.
Läßt sich aufgrund der umfassenden Heterogenität der Öffentlichkeit im Internet also kein umfassender Konsens herstellen, so kann diese Aufgabe die zukünftige Rolle der konventionellen One-to-Many-Medien sein. Die Massenmedien bekommen die Aufgabe, die Informationen der Computernetzwerke zu bündeln und nicht zuletzt auch einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die sie sich nicht direkt aus den Netzen holen kann oder will. MARK S. BONCHEK kombiniert die Broadcast-Medien mit den Netzwerken zu dem Netcast. "Combining personal, broadcast, and network media yields a Netcast model that is denser, less centralized, and carries more information than the preceding broadcast structure. Because digital information can be stored, copied, edited, and transfered easily, information migrates between personal, broadcast, and network media."[46
Darüber hinaus ändert sich die Rolle des Journalismus durch seine Ausübung im Internet selbst. Durch die Ausnutzung von Hypertext-Strukturen besteht die Möglichkeit verschiedene Quellen in einen Artikel einzubeziehen und so unterschiedliche Sichtweisen und erläuternde Beispiele zu bringen, die den Sachverhalt zu erläutern helfen und zu einer umfassenderen und vielleicht auch objektiveren Berichterstattung führen können. Journalistische Arbeit besteht dann weniger im Verfassen eigener Texte als in der Zusammenstellung von relevantem Material.[47
Die heterogenen Teilöffentlichkeiten des Internets sind selbst netzwerkartig verwoben und tauschen durch Überschneidungen Inhalte aus, so daß eine Durchlässigkeit der Grenzen der Fragmentierung strukturell entgegensteht.
War die bisherige politische Öffentlichkeit auf der vertikalen Ebene in eine institutionalisierte Öffentlichkeit und eine Suböffentlichkeit (entsprechend der BECK'SCHEN Subpolitik) und auf der horizontalen Ebene in lokale, regionale oder nationale Öffentlichkeiten, die parallel existierten und sich somit kaum ergänzten, geteilt, so bildet das Internet eine horizontal vernetzte Öffentlichkeit, die zwar heterogener ist, jedoch auf einer Ebene insgesamt verbunden bleibt.[48
Besonders wichtig ist im Zusammenhang mit dieser Netzstruktur, daß das Internet als Raum aufgrund der schnellen elektronischen Übertragung keine Entfernungen zwischen einzelnen Teilöffentlichkeiten hat. Deshalb ist der Wechsel zwischen verschiedenen Teilöffentlichkeiten allein schon technisch problemlos. Auch der Kontakt zu höhergestellten Personen, die bisher allgemein schwer zu erreichen waren, läßt sich im Prinzip ohne Schwierigkeiten herstellen. (Die einzige Einschränkung ist die Frage, ob diese einen solchen Kontakt überhaupt herstellen wollen.)
Gleichermaßen unproblematisch ist die Übernahme von Informationen aus kleinen Öffentlichkeiten in größere. "Technisch wäre es für die Tausenden von Gruppen gar kein Problem, sich fallweise zu einem gigantischen Chor zusammenzufinden, um über das Netz gemeinsame politische Forderungen (z.B. nach Unterlassung von Zensurmassnahmen) zu transportieren; denn zwischen den Gruppen besteht eine wechselseitige Durchlässigkeit, die ... in kürzester Zeit dramatisch anwachsen kann."[49 Die fragmentierte Öffentlichkeit erweist sich somit als beweglich und äußerst durchlässig. Die Dynamik, mit der sich die Netzwerke an besondere Gegebenheiten anpassen, deutet auf eine Analogie zu der Struktur des Gehirns hin: "Durch die Elektrifizierung unseres Lebens ist die Geschwindigkeit von Impulsen im Zentralnervensystem zum Maß für die gesellschaftlichen Informationsprozesse geworden. Und so wie das Zentralnervensystem die Glieder und Sinne eines Organismus koordiniert, so steuern die elektronischen Medien den Selbstvollzug der Weltgesellschaft."[50 Wie im Gehirn gibt es keine zentrale Steuerung. Statt dessen vollzieht sich eine Selbstorganisation, die ebenso Befehlshierarchien wie einen umfassenden Überblick ausschließt.
Die Netzwerke bilden keine dauerhaften Verbindungen, sondern stellen diese nur bei Bedarf her; somit beschreibt der Begriff die Gesamtheit der möglichen Verbindungen. Diese sich ständig anpassende dezentrale Struktur entspricht in ihrer Komplexität der gestiegenen Komplexität der Gesellschaft insgesamt, d.h. sie kann sich besser als das bisherige politische System darauf einstellen, so daß die Komplexität weniger verunsichernd wirkt, letztendlich weniger wahrgenommen wird. So stimmt sie dann auch mit der gefundenen Definition einer Informationsgesellschaft überein, die auf eine Bewältigung der gesellschaftlichen Komplexität abzielt.

6.2.2 Universal Service und informationelle Grundversorgung



Wenn das Internet als Massenmedium eine neue Form der Öffentlichkeit bildet, die mit steigenden Nutzerzahlen eine immer größere Rolle spielt, dann stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Ausschluß eines Teils der Bevölkerung, nämlich der ärmeren Schichten und derjenigen ohne Kenntnisse im Umgang mit Computern. In den USA hat sich in diesem Zusammenhang eine Diskussion um Information-haves und Information-have-nots herausgebildet.[51 Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß die Gruppe der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, stark angewachsen ist. Dies hängt mit einem umfassenden Einkommensrückgang zusammen, der auch im Zuge einer sich wieder erholenden Konjunktur nicht ausgeglichen wurde. Bei einem Verlust des Arbeitsplatzes wird meist nur eine neue Stellung mit einem niedrigeren Einkommen gefunden, so daß die oft hervorgehobene Entstehung neuer Jobs in den USA durchaus einer kritischen Beurteilung unterzogen werden sollte.
Um dem Ausschluß einer größeren Gruppe von der National Information Infrastructure entgegenzuwirken, wurde die Idee des Universal Service ausgeweitet. Der Universal Service ist mit der Ausbreitung des Telefons in den 30er Jahren entwickelt worden und garantiert eine Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Telefonanschlüssen und Rundfunkempfang. Die Aufnahme eines garantierten Anschlusses an die National Information Infrastructure wird als Maßnahme angesehen, um der Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen entgegenzuwirken und die Entstehung einer Gruppe von Information-have-nots zu verhindern.[52 Solche Maßnahmen sollten einen staatlichen Rahmen beinhalten, der einen Mindeststandard und gewisse Perspektiven vorgibt, deren weitere Ausführungen dann lokalen oder regionalen Einrichtungen überlassen werden. "It would combine market incentives and individual tax credits to increase computer ownership among low-income households" und "promote development of public access network services."[53 Neben einer Ausweitung des Computerbesitzes spielt auch der öffentliche Zugang durch Terminals in öffentlichen Bibliotheken o.ä. eine Rolle, ebenso wie die Vermeidung von höheren Zugangskosten in entlegeneren Gebieten. Ein anderer wichtiger Bereich neben der reinen Zugangssicherung ist die Vermittlung von Kenntnissen im Umgang mit Computern und vor allem den Computernetzen bzw. dem Internet. Unter dem Stichwort der Network Literacy sollen Anstrengungen unternommen werden, um den ärmeren Schichten, in denen Computerkenntnisse unterdurchschnittlich vorhanden sind, Fähigkeiten in der Informationssuche und in der Kommunikation im Internet zu vermitteln. Kenntnisse im Umgang z.B. mit E-mail werden in Zukunft einen gewissen Stellenwert haben, um Kontakte zu knüpfen, z.B. über Mailinglists, die letztendlich auch berufliche Perspektiven eröffnen können; unter anderem, da sich die Möglichkeit ergibt, eine bestehende Isolation zu durchbrechen und mit Menschen zu kommunizieren, mit denen unter anderen Umständen kein Kontakt zustande kommen würde. Eine generelle Benachteiligung von ärmeren Schichten im Umgang mit neuen Techniken und Kommunikationsmitteln kann so verhindert werden, was auch angesichts einer generellen Änderung in der allgemeinen Berufsstruktur von einiger Wichtigkeit ist. "In an information economy, good jobs require analytical research skills, not simply the ability to read and write and follow instructions."[54
Schließlich ist Network Literacy auch bedeutsam im Hinblick auf eine anzustrebende bürgerliche Partizipation über das Internet.
Ein garantierter Zugang zum Internet ist aber nur dann sinnvoll, wenn auch ein bestimmtes Maß an Informationsressourcen zugänglich gemacht wird. Hier sind besonders die staatlichen Verwaltungen gefordert, möglichst sämtliche Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wofür das Internet ein ideales Medium darstellt. Die in den USA im Freedom of Information Act betonte Sichtweise der Verwaltungsinformationen als Eigentum der Bürger, die diese durch ihre Steuergelder finanzieren, stellt die Grundlage einer allgemeinen Zugänglichkeit dar.
HERBERT KUBICEK kritisiert die sich in Deutschland und der EU durchsetzende reine Tendenz zu einer Deregulierung der Telekommunikationsmärkte, wobei die Sicherstellung des Zugangs zu Computernetzwerken keine Berücksichtigung findet, so daß die rein kommerzielle Nutzung des Internets in den Vordergrund rückt. Dabei wird allerdings übersehen, daß die Sicherung einer breiten Zugänglichkeit die Bedeutung des Internets allgemein steigert und so auch die ökonomischen Ressourcen vergrößert werden. Ein Vergleich mit der Entwicklung anderer neuer Medien in der Vergangenheit zeigt, daß ein sichergestellter allgemeiner Zugang immer eine Rolle gespielt hat. So drängt sich z.B. ein Vergleich von öffentlichen Terminals in Bibliotheken o.ä. mit der Aufstellung von öffentlichen Telefonzellen auf, die ebenso zur Sicherstellung eines allgemeinen Zugangs eingeführt wurden.[55
Wie im Zusammenhang mit dem Buch als Medium die Lesefähigkeit durch öffentliche Schulen und ein erschwinglicher Zugang durch öffentliche Bibliotheken gewährleistet wird, so sollte also, vergleichbar mit erwähnten amerikanischen Ansätzen, die Fähigkeit zum Umgang mit den Netzwerken gefördert und ein öffentlicher Zugang in Bibliotheken sichergestellt werden.
Im Sinne der informationellen Grundversorgung könnte auch die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien erweitert werden, indem diesen die Aufgabe der Bereitstellung grundlegender Informationen im Internet übertragen werden könnte.
Amerikanische Ansätze zu einer Veröffentlichung der Regierungsarbeit wie sie z.B. in dem Thomas-Server der Library of Congress betrieben wird, werden als ein guter Ansatz zu einer offeneren Regierung angesehen, die auch verstärkt Betroffene, z.B. Public Interest Groups in öffentlichen Anhörungen, in die Planungsvorhaben mit einbeziehen kann. "Webgestützte Planungs- und Mediationsverfahren erscheinen ausbaufähig in Richtung auf ein electronic petitioning, d.h. computervermittelte Bürger-Einsprüche, die von den Regierungs- und Verwaltungsstellen beantwortet und bearbeitet werden müssen."[56
Die bisher geleisteten Anbindungen der politischen Institutionen an das Internet lassen allerdings noch zu wünschen übrig. "Es reicht nicht, wenn politische Institutionen Email-Adressen und Foren einrichten. Die Email muß auch beantwortet werden, und die Foren müssen moderiert sowie mit den etablierten Pfaden der politischen Prozesse verknüpft werden."[57
Da eine verstärkte Orientierung auf lokale Aspekte als ein allgemeiner Trend angesehen wird, scheint die Orientierung von KUBICEK an städtischen Bürgerinformationssystemen durchaus sinnvoll zu sein. Da die in den USA verbreiteten Community Networks in Deutschland keine kulturelle Basis besitzen, könnten Bürgerinformationssysteme in Zukunft auch kostengünstige Internetzugänge im Zuge einer Grundversorgung bereitstellen. Die Bremer Infothek, an deren Entwicklung KUBICEK mit der Forschungsgruppe Telekommunikation der Bremer Universität beteiligt ist, bietet zwar einen solchen Zugang noch nicht, scheint aber als Informationssystem durchaus in die richtige Richtung zu weisen. Entgegen den meisten anderen in Deutschland existierenden städtischen Informationssystemen, die über das Internet zugänglich sind, ist diese keine aus der Sicht der Informationsanbieter vornehmlich zur Werbung aufgebaute elektronische Broschüre, sondern nach den Anforderungen der Nutzer dezentral strukturiert. Eine Redaktion koordiniert die von den Anbietern, die sich aus Behörden, Vereinen, Bürgerinitiativen und Firmen zusammensetzen, gelieferten Informationen, die sowohl systematisch als auch nach räumlichen Kriterien durchsuchbar sind. Auch stehen inhaltliche Verbindungen im Vordergrund, so daß behördliche Informationen direkt mit denen von z.B. Selbsthilfegruppen verbunden sind, sofern sie inhaltlich korrespondieren.
Neben öffentlichen Zugangsmöglichkeiten in Bibliotheken oder anderen öffentlichen Orten sind auch Diskussionsforen mit einbezogen worden, so daß die Stadt und ihr Umfeld betreffende Themen innerhalb dieses Informationssystems diskutiert werden können. Insgesamt scheint dieses System ein ausbaufähiger Ansatz zu sein.[58

6.2.3 Perspektiven partizipatorischer Demokratie



Die Diskussion um die Möglichkeiten einer elektronischen Demokratie fokussiert sich prinzipiell in zwei Ansichten: Zum einen die Ausrichtung auf eine Teledemocracy und zum anderen die Hervorhebung der Möglichkeiten einer deliberativen Demokratie.
Die Verfechter der Teledemocracy werden eher als Vertreter des klassischen Liberalismus angesehen. Die Potentiale der computervermittelten Kommunikation sollen zur Errichtung eines Marktes der Meinungen genutzt werden, auf dem verschiedene Interessen um die Gunst der Bürger kämpfen. Viel Beachtung fand dieser Ansatz in den USA aufgrund seiner Vertretung durch ROSS PEROT, der im Präsidentschaftswahlkampf die Idee der electronic townhalls vertrat, sowie durch den Sprecher des Repräsentantenhauses, NEWT GINGRICH, der u.a. mit der Progress & Freedom Foundation zusammenarbeitet. Diese hat die vielbeachtete Magna Charta for the Knowledge Age herausgegeben, ein Dokument, das ganz im Zeichen eines libertären Freiheitsbegriffs steht: Staatliche Einmischung im Bereich des Internets soll auf die Neudefinierung und Sicherung des Privateigentums beschränkt werden, das sich im wesentlichen auf den veränderten Bereich des Knowledge konzentriert. Das Internet wird als eine Electronic Frontier bezeichnet, ein Bezug auf die Zeit der Besiedlung im amerikanischen Westen und eine implementierte Vorstellung von minimaler gesetzlicher Regelung, so daß sich ein freier Wettbewerb kleiner Unternehmen entfalten kann.[59
Die computervermittelte Kommunikation über das Internet ermöglicht einen direkteren Kontakt der politischen Repräsentanten mit den Bürgern, so daß einerseits ein massenhaftes Feedback zur aktuellen Politik unter Umgehung der Gatekeeper-Funktion der Presse möglich wird und eine direkte Information seitens der Politik über Gesetzesvorhaben etc. einer sehr großen Anzahl von Bürgern zugänglich gemacht wird.
Im Zentrum der Überlegungen zu einer Teledemocracy stehen die Möglichkeiten der elektronischen Wahl. Der geringere organisatorische und finanzielle Aufwand ermöglicht eine direkte Einbeziehung der Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse durch Volksabstimmungen, Meinungsumfragen oder ähnliche Prozesse. Dabei können die Computernetze sowohl zur einfachen Durchführung der Wahl verwendet werden als auch Foren für vorhergehende Diskussionen über die zur Entscheidung anstehenden Themen bieten, wobei ebenfalls eine Beteiligung von Vertretern der politischen Institutionen denkbar ist.[60
Wenn auch die auf eine reine elektronische Abstimmung reduzierte Variante der Teledemocracy, die ironisch ebenso als "push-button-democracy" bezeichnet wird, von einem diskursiven Prozeß und parlamentarischen Beratungen ergänzt wird, um Befürchtungen ,demagogische Beeinflussungen des Volkes betreffend, entgegenzutreten, so wird doch nicht das gesamte kommunikative Potential des Mediums Internet ausgenutzt.
Der Ansatz zu einer deliberativen Demokratie setzt demgegenüber seine Schwerpunkte mehr im Bereich der Selbstregierung und der beratenden Öffentlichkeit, in der dem Begriff der Gemeinschaft ein großer Stellenwert zugesprochen wird. BENJAMIN BARBER betont die Rolle der Bürgerschaft, die aus einem Gemeinschaftsbewußtsein erwächst, im Gegensatz zu einem liberalistischen Ansatz, der die Individuen isoliert betrachtet. "Bürger sind Nachbarn, die weder durch Blutsbande noch aufgrund eines Vertrages miteinander verbunden sind, sondern weil sie gemeinsam nach Konfliktlösungen suchen, die für alle tragbar sind."[61 Da es keine objektiv richtige Lösung für politische Probleme gibt, müssen möglichst viele Perspektiven in einen deliberativen Prozeß einbezogen werden, der keine vorgefertigten Meinungen miteinander konfrontiert, sondern erst die Formung des Willens darstellt, mithin eine Selbstreflexion und Neuformulierung von Auffassungen angesichts der Konfrontation mit fremden Perspektiven.
Im Zusammenhang mit einer starken Demokratie schlägt BARBER institutionelle Ergänzungen repräsentativer Systeme vor, wobei auch die Einführung plebiszitärer Elemente eine Rolle spielt. Volksabstimmungen oder Volksbegehren werden dabei in ein Verfahren mit mehreren Phasen der öffentlichen Diskussion eingebettet. Das Verfahren beinhaltet bei einer Annahme einen zweiten, bestätigenden Wahlgang, sowie bei Einspruch des Kongresses sogar einen dritten.
Zur Sicherstellung eines ausreichenden deliberativen Prozesses sind Diskussionen auf kommunaler und nationaler Ebene in Versammlungen sowie in den Medien vorgesehen mit dem Ziel, "eine möglichst ausgedehnte Debatte in Gang zu setzen und dafür zu sorgen, daß sie offen und fair geführt wird."[62 Die Abstimmung selbst soll dann nicht nur eine zustimmende und eine ablehnende Option bieten, sondern durch mehrere differenzierte Antwortmöglichkeiten eine bessere Bewertung des Sachverhalts erlauben.
Das Design dieses partizipatorischen Elements ist weit entfernt von einer "push-button-democracy" und darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern stellt den Versuch dar, deliberative Prozesse in von der Bürgerschaft getroffene Entscheidungen umzusetzen, während andere seiner Institutionalisierungsvorschläge in Richtung von (auch elektronischen) Bürgerversammlungen gingen. Diese differenzierte Institutionalisierung eines Volksentscheides wurde in einem niederländischen Projekt versuchsweise im Internet umgesetzt.[63 Die Betonung liegt dabei auf der Beseitigung traditioneller politischer Monopole auf Information und Agenda-setting. Die Bürger sollen in einem frühen Stadium in den Vorgang einbezogen werden, wobei sie auch selbst auf die Fragestellung Einfluß nehmen können. "The advantage of using the Decision Guide rather than a referendum is that it not only allows binary yes/no questions to be put but also gives people an opportunity to get involved in policy and decision-making at an early stage, thus enabling more fundamental issues to be raised."[64 Eine elektronische Auswertung der Wahl erlaubt die detaillierte Verarbeitung auch persönlicher Daten, wobei zur Sicherstellung der Geheimhaltung eine Kodierung verwendet wird, so daß die Daten keinen bestimmten Personen zugeordnet werden können. Dieses Verfahren ermöglicht Erkenntnisse über die Wahl bestimmter Bevölkerungsgruppen und verbessert so auch die Möglichkeiten einer detaillierteren Fragestellung. Der Entscheidungsfindungsprozeß läuft in mehreren Phasen ab. Der Festlegung der Fragestellung, in die auch schon die Bürger durch Diskussion und Abstimmung einbezogen sein können, folgt die einleitende Informationsphase, wobei alle mit dem Thema zusammenhängenden Dokumente und Informationen zur Verfügung gestellt werden. Die Phase der Diskussion schließt dann auch eine permanente Meinungsumfrage ein, wobei die Möglichkeit besteht, das Votum jederzeit wieder zu ändern. Hier zeigen sich die Vorteile einer Einbindung solcher Prozesse in das Internet, da alle Stufen in demselben Medium stattfinden und so verschiedene Aspekte relativ einfach verbunden werden können; hinzu kommt der Bonus der unvermittelten horizontalen Kommunikation, die eine umfassende Debatte ermöglicht.
In den Vorgang der Wahl wurde zusätzlich ein repräsentatives Element integriert, indem es den Wählern möglich ist, ihre Stimme auch an eine Organisation abzutreten. Diese Repräsentation beschränkt sich auf eine einzige Sachentscheidung, so daß die Auswahl der Organisation nach der Kompetenz in einem bestimmten Bereich erfolgen kann. Wählbar sind prinzipiell alle Organisationen, also auch Parteien oder die Regierung. Dieses Verfahren nimmt Abstand von der durch ideologische und allgemeine Programme geprägten Parteienwahl auf mehrere Jahre und entspricht so den von ULRICH BECK beschriebenen differenzierten themenabhängigen Anhängerschaften, die mit den gängigen Links-Rechts-Schemata nicht mehr zu vereinbaren sind.[65 Auch stellt dieses Vorgehen eine Institutionalisierung der Politik des aktiven Vertrauens dar, nämlich durch die Delegierung der Entscheidung an eine Organisation dar, der Vertrauen entgegengebracht wird. Diese Institutionalisierung ist eine dezentrale, sich in ihrer Zusammensetzung ständig ändernde, die von unten durch die Bürgerschaft laufend modifiziert wird.
Hintergrund der Entwicklung dieses Entscheidungssystems ist die Annahme, deliberative Diskussionen im Internet müßten in traditionelle Verfahren der Entscheidungsfindung gebettet werden, da ansonsten das Interesse an der Teilnahme bei unklaren Internet-Debatten schnell sinken würde. Es ist somit kein Versuch, herkömmliche Politik um eine Bürgerbeteiligung zu bereichern, sondern vielmehr die aus der Vermutung, daß eine rein deliberative Komponente zu keinerlei Entscheidung führen wird, gezogene Konsequenz.[66
Letztlich wird der subpolitischen Tendenz der Gesellschaft Rechnung getragen, indem der traditionelle Bereich der Politik erweitert bzw. für subpolitische Komponenten geöffnet wird. "Anstatt dass also das nationale Parlament als monopolistische Vertretungsinstanz aller Bürger in allen Fragen fungiert, gibt es jetzt einen 'freien Markt um politische Repräsentation', an dem sich verschiedenste Institutionen, Verbände, Assoziationen, Ad-hoc Gruppierungen, charismatische Führerpersönlichkeiten usw. mitbeteiligen können."[67
RAINER SCHMALZ-BRUNS betont, daß sich eine Schere öffnet zwischen der Entwicklung von Problemen einerseits sowie der politischen Wahrnehmungs- und Problemlösungsfähigkeit andererseits. Die Ursache liegt in der Globalisierung, die staatliche Souveränität auf übernationale und subnationale Ebenen verlagert. Die Politik formiert sich dort in selbstorganisierten Netzwerken, die einer nationalstaatlichen, demokratischen Willensbildung entbehren.[68
Die durch Kommunikation und Reflexion in der Öffentlichkeit geprägte Bürgergesellschaft soll an die Stelle des Staates Wissen, Kooperation und Kommunikation stellen, wobei der politischen Bildung in größerem Maße die Rolle der Veredelung der bürgerlichen Fähigkeiten zur politischen Partizipation zufällt.
Die politischen Institutionen sollen zum Gegenstand der öffentlichen Willensbildung werden, um die partizipatorischen Elemente zu verstärken. Diese Tendenz zu verstärkter Partizipation muß mit den Anforderungen von oft expertiseabhängigen problembezogenen Einzelpolitiken verbunden werden, worin SCHMALZ-BRUNS den "neuralgischen Punkt moderner Demokratietheorie" auszumachen glaubt.
[69 Die Praxis der neuen sozialen Bewegungen sieht er als einen Ausdruck der sich strukturell differenzierenden Politik, die eine Pluralisierung der Entscheidungsverfahren implementiert. Dies scheint "ein Reservoir an demokratischen Formelementen [zu] bilden, aus dem sich politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nach Maßgabe der differentiellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Verfahren versorgen könnten."[70
Die Institutionalisierung solch einer Flexibilität müßte ein demokratisches Auswahlverfahren der Entscheidungssysteme beinhalten. Es könnte sich eine Politik entwickeln, deren Organisationsformen je nach den Anforderungen variieren und die Bürger auf unterschiedliche Weise in die Prozesse integrieren.
Unter Berücksichtigung der Globalisierung ist an eine Einbeziehung von sozialen Akteuren in Entscheidungskompetenzen innerhalb von Netzwerken zu denken, deren Ausdehnung über die nationalstaatlichen Grenzen hinausgeht. Somit wäre eine nationalstaatliche Politik im herkömmlichen Sinne obsolet.
Die politische Organisation vollzieht sich dann nicht mehr in den überkommenen gesellschaftlichen Großgruppen, sondern sie geht auf "diffuse Akteure" über, "die für die politische Bewältigung der Herausforderungen an die Entwicklung moderner Gesellschaften ... neue integrative Mechanismen und politische Strukturen suchen und finden müssen."[71
Das Modell einer reflexiven Demokratie sieht SCHMALZ-BRUNS dann in dem Wechsel von einem Nebeneinander fester, nur lose verbundener Institutionen zu einer "Politisierung und Demokratisierung des Zusammenspiels unterschiedlicher Formen von Demokratie."
[72 Die besondere Rolle der neuen sozialen Bewegungen hat ihren Ursprung hauptsächlich in der Erkenntnis der Unfähigkeit traditioneller nationalstaatlicher Politik, auf die Bedrohung durch zunehmende Umweltzerstörungen zu reagieren bzw. eine adäquate Vorgehensweise angesichts neuer Technologien zu finden, deren Folgen schwer abzuschätzen sind. Ebenso spielt das Aufbrechen der traditionellen sozialen Rollenverhältnisse durch den Feminismus eine Rolle.
Im Bereich der Abschätzung von Technikfolgen und Umweltrisiken ist nicht mehr ein eindeutiges Expertenwissen auszumachen, sondern die offiziellen Verlautbarungen werden von Gegenexpertisen vor allem aus dem Lager der neuen sozialen Bewegungen angefochten. Das Expertenwissen wird nun in den politischen Prozeß eingebunden; die Fragestellung hängt unmittelbar mit der Lösung zusammen.
Wenn das Expertenwissen anfechtbar geworden ist, so scheint die Abschaffung eines hierarchischen Experten-Laien-Verhältnisses zugunsten einer horizontalen demokratischen Vernetzung geboten.
Die neuen sozialen Bewegungen sind dezentral organisiert sowie lokal ausgerichtet, wodurch sie mit den von den Problemen Betroffenen in enger Verbindung stehen, wenn diese nicht selbst Teil der Bewegung sind. Diese enge Verknüpfung der Bevölkerung mit einer politisch organisierten Ebene hebt die strukturell starre Trennung von Gemeinschaft und Gesellschaft tendenziell auf.[73 Die neuen sozialen Bewegungen bilden den Bereich der Subpolitik jenseits der traditionellen institutionellen Politik. Die Bürgerinitiativen "waren es, die gegen den Widerstand der etablierten Parteien die Themen einer gefährdeten Welt auf die Tagesordnung gesetzt haben,"[74 was letztlich zu einer Spaltung quer durch alle gesellschaftlichen Institutionen geführt hat. Darüber hinaus haben die zivilgesellschaftlichen sozialen Bewegungen in Mittel- und Osteuropa die starre staatliche Organisation aufgelöst und letzten Endes wesentlich zum Verschwinden der Grundlage der Nachkriegsordnung, dem dichotomen Ost-West-Gegensatz, beigetragen.
Die dezentralen, unregelmäßigen Organisationsformen der neuen sozialen Bewegungen, die einer lockeren Rollenverteilung und einer horizontalen Struktur Vorschub leisten, konterkarieren die traditionelle Elitenherrschaft.
"Neue soziale Bewegungen sind ein Symbol für den "Aufstand der Basis" gegen jegliche Elitenherrschaft: Graswurzeldemokratie gegen Elitendemokratie, "bottom up"- gegen "top down"-Demokratie, "Do-it-yourself-Repräsentation" gegen Eliten-Repräsentation des Volkswillens."[75
Die Trennung des Privaten vom Politischen als Grundlage einer elitenzentrierten Politik wird aufgehoben im dezentralen Muster der sozialen Bewegungen, das sich nicht an dichotomen Links-Rechts-Kategorien orientiert, sondern eine themenzentrierte Differenzierung zugrunde legt. Schon die strukturelle Veränderung der Gesellschaft als Ziel mit für soziale Bewegungen definitorischem Charakter, macht diese generell zu politischen Bewegungen, was schließlich eine Ausweitung des Politischen bedeutet.[76
Soziale Bewegungen werden als Netzwerk von Netzwerken gesehen, die oft kleine, schwächer strukturierte, kurzfristig auf konkrete Ziele ausgerichtete Initiativgruppen als Teilbewegungen verbinden. Als kleinste Einheit spielen vor allem die freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Gemeinschaften eine Rolle. Sie sind die kleinsten Teilnetzwerke der sozialen Bewegungen, die ihre schwach strukturierte Organisation vor allem auf Kommunikation aufbauen. "Ihre Kommunikationspraxis entfaltet sich in jener schwer faßbaren Zwischenzone von privat und öffentlich, spontan und organisiert, informell und verregelt, von kultureller Innovation und politischer Intervention, von Selbstveränderung und Gesellschaftskritik."[77
Da der Zugang zu den konventionellen Massenmedien, zumindest in der Entstehungszeit der neuen sozialen Bewegungen, nur äußerst schwer zu erreichen war, konzentrierte sich die Kommunikationsstruktur, abgesehen von persönlichen Kontakten, auf alternative Zeitungen, Stadtmagazine oder auch Flugblätter.

Mit der Genese des Internets hat sich ein Medium entwickelt, das erstaunlich gut den Strukturen der sozialen Bewegungen entspricht. Einzelne Mitglieder oder lokale Gruppen der sozialen Bewegungen stellen Netzwerkknoten dar, die als Sammelstelle für Informationen fungieren. Die entstehende lose Verbindung sozialer Beziehungen kann sich ideal über das Internet vollziehen, da seine Struktur die Formen direkter Kommunikation unterstützt, die zu einer horizontalen Vernetzung am zweckdienlichsten sind: Sowohl die Verbindung einzelner Personen als auch die Verbindung vieler mit vielen und die Möglichkeit für Einzelne, Informationen an eine große Gruppe zu übermitteln. Dabei stehen diese Möglichkeiten in allen Richtungen der Gesamtheit zu niedrigen Kosten zur Verfügung.
Wenn diese lose Verbindung von Organisationen anwächst, schlägt sie bei Überschreiten einer kritischen Masse in ein lernendes Netzwerk um, welches eigene Informationen produziert. Mit der Größe des Netzwerks wächst auch seine Nützlichkeit für die Mitglieder. Indem jeder Knotenpunkt ein Informationssammler und -verteiler ist, besteht eine radikal dezentralisierte Produktion von Information. "At the same time, distribution itself takes on richer horizontal and vertical forms as regional and national organizations feed local ones, and local ones, in turn, move information up and across the network."[78
Diese auf Vertrauen und Reziprozität aufbauenden vernetzten Netzwerke bilden das "social capital" der Gesellschaft, d.h. die Grundlage einer gemeinschaftlichen Zivilgesellschaft. "By treating communities as social capital networks, rather than strictly as discourse communities, we can begin to ground the connective elements of new information technologies in social life and social structure."[79
Die Geschichte der neuen sozialen Bewegungen zeigt, daß die netzwerkartige Organisation sich nicht erst mit dem Internet entwickelt hat. Das Internet stellt bloß eine ideale Unterstützung dieses bestehenden Trends dar. Dabei werden viele Gruppenbildungen erst durch die günstige mediale Struktur des Internets möglich. Das zuvor schon erwähnte Institute for Global Communications (IGC) stellt eine Plattform dar für soziale Bewegungen, die sich in den Bereichen der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte und des Umweltschutzes engagieren. Es ist ein gutes Beispiel für die Vorteile, die ein Netzwerk bietet, das eine Reihe von Teilnetzwerken verbindet und das zusätzlich noch an das Gesamtnetzwerk des Internets angebunden ist. Die einzelnen Mitglieder, ob Einzelpersonen oder Organisationen, tauschen Informationen aus, diskutieren die Zusammenhänge und Strategien und koordinieren ihre Aktionen über dieses eine Medium. Das IGC ist besonders interessant im Hinblick auf seine weltweite Operationsbasis, die eine globale Informationsquelle darstellt, welche keinerlei Agenda-Setting oder hierarchischem Filtersystem unterliegt. Unter anderem wurde dieser Vorteil deutlich, als dieses Netzwerk im Golfkrieg als Alternative zu den offiziellen, zensierten Informationssystemen genutzt wurde.[80
Der große Vorteil des Internets ist die Vernetzung verschiedener Netzwerke. So werden die sozialen Bewegungen verbunden mit lokal angelegten Gemeinschaften wie den Community Networks sowie mit thematisch ausgerichteten virtuellen Gemeinschaften und Diskussionsforen. Diese sehr heterogene Gesamtheit kann eine neue Form der Zivilgesellschaft bilden, die an einer deliberativen Demokratieform ausgerichtet ist. Das Internet als globales Medium nimmt die transnationale Operationsbasis vieler sozialer Bewegungen auf, wodurch eine politische Sphäre entstehen kann, die der globalen Ausweitung gesellschaftlicher Problemstellungen besser entspricht als die traditionelle nationalstaatliche Politik.
Eine Institutionalisierung, die an dem Erreichen konkreter Ergebnisse orientiert ist, muß die starren Formen überwinden und sich flexibel nach der jeweiligen Situation richten können, wenn sie den Bedingungen der reflexiven Moderne entsprechen soll.
Eine Ausweitung des Prinzips der Repräsentation auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure, wie es in dem zuvor erwähnten niederländischen Teledemocracy-Projekt versuchsweise praktiziert wird, scheint ein erster Ansatz zu sein. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Repräsentation wird auf einer breiteren Basis aufgebaut, die eine engere Verbindung zur Gesamtbevölkerung hält und wie in den sozialen Bewegungen durch eine schwache, horizontal ausgerichtete Organisation eine größere Flexibilität erhält, so daß sie sich auf spezifische Problemlagen einstellen kann. Darüber hinaus beziehen transnational vernetzte Bewegungen die globale Komponente mit ein, so daß auch eine transnationale oder globale Repräsentation denkbar wäre.
Ansätze einer reflexiven Politik zielen auf eine größere Flexibilität sowie eine breitere Beteiligung der Bevölkerung. Aus einer deliberativen Zivilgesellschaft heraus werden "Foren und Verfahren der >konstitutionellen< Dauerreflexion" anvisiert, "die eine fallweise Adjustierung und Balancierung von Teilhabeansprüchen, Themen und Entscheidungsprozeduren vorzunehmen hätten."[81
Die mögliche Entwicklung des Internets zu einer neuen zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit kann den deliberativen Perspektiven einer reflexiven Demokratie zuträglich sein. Da die Kommunikation in der Gesellschaft eine immer größere Rolle spielt, stellen seine medialen Eigenschaften das Internet in das Zentrum der Aussichten einer zukünftigen sowohl antihierarchischen als auch interaktiven Kommunikationsstruktur.
Die im Internet üblicherweise angewandte Hypertextstruktur verweist auf die sich in diesem neuen gesellschaftlichen Raum etablierende kollektive Arbeitsweise, die überkommenen hierarchischen Strukturen abkömmlich ist.
Über in einem Hypertext gesetzte Links wird eine potentiell unbegrenzte Menge von Texten in einer netzartigen Struktur verbunden, so daß im Verlauf des Lesens individuell entschieden werden kann, womit der Text fortgesetzt werden soll. Die Leser werden so quasi selbst zu Autoren oder vielleicht besser zu Redakteuren; sie bestimmen selbst den Verlauf des Textes, der von einer Vielzahl von Autoren verfaßt sein kann. Die traditionell klare Zuordnung von Verfassern und wissenschaftlichen Arbeiten wird so aufgelöst, was eine Erschütterung der wissenschaftlichen Autoritäten bedeutet.
Kann das gleiche Schicksal in einem im höchsten Grade vernetzten gesellschaftlichen Raum auch den politischen Autoritäten widerfahren?[82
Der Vergleich des Internets mit dem neuronalen Netz des Gehirns verführt zu der Versinnbildlichung der an die vernetzten Computer "angeschlossenen" Menschen als einer kollektiven Intelligenz, wie sie der französische Kommunikationswissenschaftler PIERRE LÉVY entwickelt hat.[83
Die Ausprägung der politischen Identität der Bürger wird auf ihren spezifischen Beitrag zu der Konstruktion einer sich ständig ändernden politischen Landschaft zurückgeführt, auf ihre Ansicht in Bezug auf bestimmte Probleme oder Argumente. Es soll eine vielstimmige kollektive Äußerung erreicht werden, die einem Chor vergleichbar ist, der mehr ist als die bloße Summe seiner Teile. Doch dieser Chor soll ohne Dirigenten auskommen, ohne eine transzendente Vermittlung, worunter Götter, Mythen und Repräsentanten zu fassen sind. Die Vermittlung soll eine immanente sein; sie wird von der Verbindung der Individuen über die Computernetzwerke getragen. "Einer Gemeinschaft die Möglichkeit zu geben, eine vielstimmige Äußerung zu machen, direkt und ohne Umweg über einen Vertreter - das ist das technopolitische Ziel einer Demokratie im Cyberspace... Die Entwicklung des Cyberspace gibt uns die Gelegenheit, mit Organisations- und Regelsystemen für Kollektive zu experimentieren, die die Vielfalt und Diversität in den Vordergrund stellen."[84
Die Mehrheiten und Minderheiten werden themenzentriert, stehen also jenseits einer zementierten Links-Rechts-Kategorie. Die getroffenen Entscheidungen unterliegen einer ständigen Neubewertung, deren Instrumente reflexiv sind, sich somit ständig selbst modifizieren. Die Regierung wird dabei auf den Wächter der Entscheidungsmodi, auf den Ausführenden der kollektiven Intelligenz reduziert.
In einem langsamen Prozeß bildet sich die kollektive Intelligenz als eine Demokratie in Echtzeit heraus. Echtzeit bedeutet keine Kurzlebigkeit, sondern vielmehr die Einstellung der gesellschaftlichen, respektive politischen Abläufe auf die spezifischen Geschwindigkeiten und Rhythmen der Problemstellungen. Es bedeutet, daß sich die institutionelle Gestalt ständig neuen Gegebenheiten anpaßt, ohne sich dabei den zyklischen Rhythmen der Wahlen unterwerfen zu müssen. "Eine diskontinuierliche Politik entsteht aus der infantilen Beziehung zwischen unverantwortlichen Kategorien einerseits, die Forderungen für sich selbst stellen, ohne sich um die Gemeinschaft zu sorgen, und Entscheidungsträgern andererseits, die nur aufgrund kurzsichtiger Wahlstrategien auf diese Forderungen eingehen."[85 Die Echtzeit-Demokratie hingegen stellt sich auf langfristige Abläufe und Konsequenzen ein, ohne dabei auf die höhere Geschwindigkeit der kollektiven Intelligenz zu verzichten, die sich aus der Synchronizität der Abläufe ergibt.
Die selbstorganisierte kollektive Intelligenz versucht, die Autonomie sämtlicher Bürger zu gewährleisten. Die ständige Selbstveränderung steht dabei im Gegensatz zur transzendenten Vermittlung von Traditionen. Es handelt sich mithin um eine posttraditionelle Gesellschaftsform, die versucht, die verschiedenen Rhythmen der individuellen Personen, der heterogenen Gemeinschaften und der spezifischen Probleme auszubalancieren.

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1 Vgl. Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992. zurück

 

2 Helmut Dubiel: Der entfesselte Riese? Die "zivile Gesellschaft" und die liberale Demokratie nach 1989, in: Claus Leggewie (Hrsg.): Wozu Politikwissenschaft? Über das Neue in der Politik, Darmstadt 1994, S. 57. zurück

 

3 Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1950, S. 428. zurück

 

4Joseph A. Schumpeter, a.a.O., S. 449. zurück

 

5 Vgl. Joseph A. Schumpeter, a.a.O., S. 433. zurück

 

6Joseph A. Schumpeter, a.a.O., S. 449f. zurück

 

7Joseph A. Schumpeter, a.a.O., S. 390. zurück

 

8 Ernst Fraenkel, Deutschland und die Westdeutschen, Frankfurt a.M. 1991, S. 87.zurück

 

9Ernst Fraenkel, a.a.O., S. 89. zurück

 

10 Vgl. ebd. zurück

 

11 Ernst Fraenkel, a.a.O., S. 90. zurück

 

12 Vgl. Arnulf Baring: Tatsachensinn tut not! Gespräch mit Arnulf Baring über die Krise von politischen Parteien und Demokratie, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 8/1992, S. 449-464. zurück

 

13 Kurt Sontheimer: Die Wiederkehr des Volkes, in: Die Welt, 20.7.1992. zurück

 

14 Vgl. Hans Herbert von Arnim: Staat ohne Diener. Was schert die Politiker das Wohl des Volkes?, München 1993, S. 12. zurück

 

15 Ebd. zurück

 

16Hans Herbert von Arnim, a.a.O., S. 14. Vgl. zur Parteienfinanzierung auch ders.: Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. Parteienfinanzierung in Deutschland, München 1996. zurück

 

17 Klaus von Beyme: Politikverdrossenheit und Politikwissenschaft, in: Claus Leggewie (Hrsg.): Wozu Politikwissenschaft?, a.a.O., S. 28.zurück

 

18 Vgl. Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen, a.a.O., S. 204ff. zurück

 

19 Ulrich Beck, a.a.O., S. 220. zurück

 

20 Vgl. Hans-Peter Müller: Abschied von der Klassengesellschaft? Über ein "Menetekel" im Spiegel der soziologischen Diskussion, in: Christoph Görg: Gesellschaft im Übergang. Perspektiven kritischer Soziologie, Darmstadt 1994, S. 120-140. zurück

 

21 Ulrich Beck, a.a.O., S. 224. zurück

 

22 Vgl. Ulrich Beck, a.a.O., S. 206ff. zurück

 

23 Michael Zürn: Das Projekt "komplexes Weltregieren". Wozu Wissenschaft von den internationalen Beziehungen?, in: Claus Leggewie: Wozu Politikwissenschaft?, a.a.O., S. 80. zurück

 

24 Michael Zürn, a.a.O., S. 86.zurück

 

25 Vgl. Ulrich Beck, a.a.O., S. 216. zurück

 

26 Vgl. Ulrich Beck, a.a.O., S. 224. zurück

 

27 Vgl. Ulrich Beck, a.a.O., S. 234. zurück

 

28 Vgl. Anthony Giddens: Jenseits von Links und Rechts. Die Zukunft radikaler Demokratie, Frankfurt a.M. 1997, S. 132ff. zurück

 

29 Vgl. Anthony Giddens, a.a.O., S. 165ff. zurück

 

30 Vgl. Anthony Giddens, a.a.O., S. 160ff. zurück

 

31 Rainer Schmalz-Bruns: Reflexive Demokratie. Die demokratische Transformation moderner Politik, Baden-Baden 1995, S. 53. zurück

 

32 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 92. zurück

33 Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a.M. 1992, S. 452. zurück

 

34 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S.130. zurück

 

35 Vgl. zum Folgenden Mark S. Bonchek: From Broadcast to Netcast. The Internet and the Flow of Political Information, Dissertation an der Harvard University, Cambridge/Mass. Dezember 1996, Chapter 2, online in Internet: URL: http://www.ai.mit.edu/people/msb/thesis/contents.html. zurück

 

36 Hans Geser, a.a.O., Kapitel 2.1. zurück

 

37 Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990, S. 28. zurück

 

38 Hans Geser, ebd. zurück

 

39 Vgl. Mark S. Bonchek, a.a.O., Chapter 3. zurück

 

40 Vgl. Hans Geser, a.a.O., Kapitel 2.2. zurück

 

41 Ebd. zurück

 

42 Die neuen Bedingungen unterliegenden persönlichen Attribute im Zusammenhang mit dem Internet und vor allen Dingen mit dem Begriff der virtuellen Gemeinschaften sind weiter oben schon dargestellt worden. Es bleibt daran zu erinnern, daß entgegen der Darstellung bei GESER die persönlichen Attribute nicht verschwinden. zurück

 

43 Hans Geser, a.a.O., Kapitel 2.4. zurück

 

44 Hans Geser, a.a.O., Kapitel 2.5. Vgl. auch Jürgen Habermas, a.a.O., S. 161ff. zurück

 

45 Vgl. Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen, a.a.O., S. 225ff. zurück

 

46 Mark S. Bonchek, a.a.O., Chapter 3. zurück

 

47 Vgl. Lewis A. Friedland: Electronic Democracy and the New Citizenship, in: Media, Culture and Society, Vol.18, 1996, S. 185-212, online in Internet: URL: http://www.cpa.org/sections/topics/notworking/index.html. zurück

 

48 Vgl. Hans Geser, a.a.O., Kapitel 2.6. zurück

 

49 Ebd. zurück

 

50 Norbert Bolz: Tele! Polis!, a.a.O., S. 146. zurück

 

51 Vgl. Richard Civille: The Internet and the Poor, in: Brian Kahin u. James Keller: Public Access to the Internet, Cambridge/Mass. u. London 1995, S. 175-207. zurück

 

52 Vgl. Richard Civille, a.a.O., S. 194ff. zurück

 

53 Richard Civille, a.a.O., S. 195. zurück

 

54 Richard Civille, a.a.O., S. 202.zurück

 

55 Vgl. Herbert Kubicek: Demokratie im Netz - Vernetzte Demokratie, in: Zukünfte, 6. Jg., 1996 und in: Telepolis, 7.2.1997, online in Internet: URL: http://www.heise.de/tp/pol/8002/fhome.htm. Vgl. auch Herbert Kubicek: Duale Informationsordnung als Sicherung des öffentlichen Zugangs zu Informationen, in: Computer und Recht, 11. Jg., Heft 6, S. 370-379, online in Internet: URL: http://infosoc.informatik.uni-bremen.de/OnlineInfos/Informationsordnung/Informationsordnung.html. zurück

 

56 Claus Leggewie: Netizens oder: der gut informierte Bürger heute. Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit?, in: Macht Information. Internationale Konferenz über die Werte der Informationsgesellschaft, 9. September 1996, Petersberg bei Bonn, Kapitel 2.2, online in Internet: URL: http://www.iid.de/macht/. zurück

 

57 Herbert Kubicek: Demokratie im Netz - Vernetzte Demokratie, a.a.O., Kapitel: Internet und politische Willensbildung. zurück

 

58 Vgl. Herbert Kubicek: Auf dem Weg zu informativen Informationssystemen, in: Proceeding der GI-Jahrestagung Informatik, Klagenfurt 1996, online in Internet: URL: http:// infosoc.informatik.uni-bremen.de/OnlineInfos/Klagenfurt/Klag15.html. zurück

 

59 Vgl. Lewis A. Friedland: Electronic Democracy and the New Citizenship, in: Media, Culture and Society, Vol. 18, 1996, S. 185-212, online in Internet: URL: http://www.cpa.org/sections/topics/notworking/index.html, Esther Dyson, George Gilder, Jay Keyworth, Alvin Toffler: A Magna Charta for the Knowledge Age, in: New Perspectives Quarterly, Fall 1994, Vol. 11, No. 4, online in Internet: URL: http://www.questel.orbit.com/patents/readings/magna.html.zurück

 

60 Vgl. zur Gegenüberstellung von Teledemocracy und deliberativer Demokratie Scott London: Teledemocracy vs. Deliberative Democracy. A Comparative Look at Two Models of Public Talk, in: Journal of Interpersonal Computing and Technology, Vol. 3, No. 2, Apr. 1995, S. 33-55, online in Internet: URL: http://www.west.net/~insight/London/tele.htm.zurück


 

61Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß Varianten einer Teledemokratie schon viel länger und nicht nur im Zusammenhang mit dem Computer als Medium existieren. Varianten beschäftigen sich z.B. mit dem Telefon oder dem Fernsehen. zurück

 

62 Zum technischen Problem im Zusammenhang mit der elektronischen Wahl, z.B. Fragen der Sicherheit und Geheimhaltung vgl. Lorrie Faith Cranor: Electronic Voting, Computerized Polls may save Money, protect Privacy, in: Crossroads 2, 4. April 1996. zurück

63 Benjamin Barber: Starke Demokratie. Über die Teilhabe am Politischen, Hamburg 1994, S.213. zurück

 

64 Benjamin Barber, a.a.O., S. 263. zurück

 

65 Vgl. Marcel Bullinga: Decision Guide/Teledemocracy, 30.11.1996, online in Internet: URL: http://www.xs4all.nl/~roesderz/english/teledemo.zurück


 

66 Ebd. zurück

 

67 Vgl. Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen, a.a.O., S. 219ff. zurück

 

68 Vgl. Marcel Bullinga, ebd. zurück

 

69 Hans Geser, a.a.O., Kapitel 3.2. zurück

 

70 Vgl. Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 31f. zurück

 

71 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 161. zurück

 

72 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 162. zurück

 

73 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 164. zurück

 

74 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 164f. zurück

 

75 Vgl. Elmar Wiesendahl: Neue soziale Bewegungen und moderne Demokratietheorie. Demokratische Elitenherrschaft in der Krise, in: Roland Roth, Dieter Rucht (Hrsg.): Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1987, S. 379. zurück

 

76 Ulrich Beck, a.a.O., S. 157. zurück

 

77 Elmar Wiesendahl, ebd. zurück

 

78 Vgl. Joachim Raschke: Zum Begriff der sozialen Bewegungen, in: Roland Roth, Dieter Rucht, a.a.O., S. 26.zurück

 

79 Roland Roth: Kommunikationsstrukturen und Vernetzungen in neuen sozialen Bewegungen, in: Roland Roth, Dieter Rucht, a.a.O., S. 70. zurück

 

80 Lewis A. Friedland, a.a.O., Kapitel: Advocacy and Problem Solving Models. zurück

 

81 Lewis A. Friedland, a.a.O., Kapitel: Democratic Deliberation and the New Technology. zurück

 

82 Vgl. Lewis A. Friedland, a.a.O., Kapitel: Advocacy and Problem Solving Models. zurück

 

83 Rainer Schmalz-Bruns, a.a.O., S. 188. zurück

 

84 Vgl. Mark Poster, a.a.O., Kapitel: Cyborg Politics. zurück

 

85 Vgl. Pierre Lévy: Die kollektive Intelligenz. Eine Anthropologie des Cyberspace, Mannheim 1997. zurück

 

86 Pierre Lévy, a.a.O., S. 76f. zurück

 

87 Pierre Lévy, a.a.O., S. 91.zurück

Ralf Ehe: 
Die "Informationsgesellschaft" und die politische Dimension des Internets
Schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.)
der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
11. Februar 1998.