Schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.)
der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
11. Februar 1998.
Die Entwicklung einer "Informationsgesellschaft" ist seit geraumer Zeit Gegenstand von Diskussionen und Berichterstattungen in der Presse sowie in zahlreichen Veröffentlichungen. Dabei werden sowohl Ängste als auch Hoffnungen darauf projiziert, indem einerseits vor der Gefahr einer Isolation der Menschen durch die Abwicklung sämtlicher Alltagsverrichtungen über interaktive elektronische Medien gewarnt wird, wodurch der Kontakt zu anderen Personen verlorengehen könnte. Andererseits wird von den Aussichten auf eine große Zahl neuer Arbeitsplätze im Multimedia-Bereich gesprochen, die Informationsgesellschaft so mit der Aussicht auf eine Bewältigung der Arbeitslosigkeit verbunden.
Die deutsche Bundesregierung z.B. konzentriert sich in ihren nach anfänglichem Zögern veröffentlichten Äußerungen und Plänen auf wirtschaftliche Aspekte
"Der Begriff "Informationsgesellschaft” steht für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform, in der der produktive Umgang mit der Ressource "Information” und die wissensintensive Produktion eine herausragende Rolle spielen. Sie wird an den Entwicklungen und Veränderungen in den Bereichen Technik, Wirtschaft, Arbeitswelt und Umwelt in besonderer Weise deutlich."1
Hier wird die Ausbildung der "Informationsgesellschaft" im wesentlichen auf die sich erweiternden Anwendungsmöglichkeiten der Informationstechnik projiziert. Die Bundesregierung baut vor allem auf positive Arbeitsmarkteffekte und eine effektivere Kommunikationsstruktur, die das hohe Verkehrsaufkommen reduziert, wodurch eine Verminderung der Umweltbelastungen erwartet wird. Diese wird auch durch weniger energieintensive Herstellungsverfahren aufgrund des Einsatzes der Informationstechnik in der Wirtschaft erhofft.
2 Die Nachindustrielle Gesellschaft bei Daniel Bell
4 Der Begriff der Informationsgesellschaft
5 Globalisierung und Lokalisierung
7 Das Konzept der Informationsgesellschaft und die politische Öffentlichkeit des Internets
2 Die Nachindustrielle Gesellschaft bei Daniel Bell
4 Der Begriff der Informationsgesellschaft
5 Globalisierung und Lokalisierung
7 Das Konzept der Informationsgesellschaft und die politische Öffentlichkeit des Internets
Das Internet fügt sich in dieses Szenario vornehmlich als eine Art elektronischer Markt ein, wobei das seit Anfang der neunziger Jahre sich kontinuierlich ausweitende World Wide Web (WWW) eine bestimmende Rolle spielt. Mit der Popularisierung dieses Internetdienstes werden vornehmlich seine Rolle als Werbeträger von Firmen sowie die Möglichkeiten des Teleshopping betont.2
Diese Arbeit verfolgt dagegen das Ziel, eine Vorstellung von einer Informationsgesellschaft zu entwerfen, die über diese industriegesellschaftliche, rein ökonomische Perspektive hinausgeht. Das Internet, das in der Öffentlichkeit vorrangig unter wirtschaftlichen und Unterhaltungsgesichtspunkten gesehen wird, soll dabei auf seine politischen Aspekte hin untersucht werden; d.h., es kommt darauf an zu hinterfragen, welchen Einfluß das Internet auf die bestehenden politischen Verhältnisse haben kann.
Da dem Internet als einem technologischen Medium eine bestimmte, demokratische oder undemokratische Wesensart abgesprochen werden muß, es somit als neutral anzusehen ist, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die inhaltliche Ausgestaltung.
Die im Verlauf dieser Arbeit zu entwickelnde Verbindung des Begriffs der Informationsgesellschaft mit den Standpunkten der Theorie der reflexiven Modernisierung soll gemeinsam mit den kommunikativen Potentialen des Internets eine mögliche Entwicklungslinie des politischen Systems aufzeigen, die als die politische Perspektive einer Informationsgesellschaft angesehen werden kann.
Zunächst wird ein Ansatz zur Theorie einer Informationsgesellschaft vorgestellt, der den industriegesellschaftlichen Rahmen im wesentlichen nicht verläßt, sich in die Idee des linearen Fortschritts der Moderne einpaßt.
Dem wird die Darstellung der auf sich selbst angewandten Modernisierung, die Theorie der reflexiven Modernisierung, gegenübergestellt. Sie zeigt, daß die einfachen Modernisierungstheorien vor allem die von der Modernisierung selbst geschaffenen Probleme in ein lineares Fortschrittsmodell nicht einbeziehen können. Es ergibt sich ein differenzierteres Bild der Gesellschaft, das die zunehmende Komplexität der nachtraditionalen Phase aufgreift.
Dementsprechend soll dann die Informationsgesellschaft als ein Konzept zur Komplexitätsreduktion aufgefaßt werden, das sich des Internets bedient, um die Kommunikationsstruktur an die Gegebenheiten der komplexeren Gesellschaft anzupassen. Das Internet wird dann als Basis für ein horizontal vernetztes, möglichst selbstorganisiertes, auf durch effektive Kommunikationsverhältnisse qualitativ und quantitativ hochwertigen Informationen aufbauendes politisches System der Informationsgesellschaft zu sehen sein.
Vor allem die Interpretation der Information als wirtschaftliche Ressource, deren produktive Verwendung und die wissensintensive Produktion, wie sie in den Veröffentlichungen der Bundesregierung zur Informationsgesellschaft vertreten werden, verweisen auf eine Anlehnung an den Ursprung des Begriffs von einer Informationsgesellschaft in Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren.
Die informationsökonomischen Ansätze beschäftigen sich hauptsächlich mit einer Klassifizierung von Wissen, um seinen wirtschaftlichen Ertrag, z.B. als Anteil am Bruttosozialprodukt messen zu können. Hier wird besonders die Entwicklung des Dienstleistungssektors, der mitunter um weitere Sektoren ergänzt wird, betont.
Die Theorie der nachindustriellen Gesellschaft von DANIEL BELL, die in Kapitel 2 vorgestellt wird, prognostiziert ein Umschwenken der Wirtschaft von der Waren- zur Wissensproduktion.
BELL beschreibt die Entstehung einer Wissensklasse, die den technologischen Fortschritt einer gezielten Planung unterzieht, so daß die Zukunft gestaltbar wird. Dabei sollen ein permanentes Wirtschaftswachstum und ein stetig steigender Lebensstandard gesichert werden. Die intellektuelle Technologie nutzt das vermehrte Wissen zu rationalem Handeln, wobei die Wissenschaft unter Ausbildung einer bürokratischen Intelligenz - auch politisch - gestärkt wird.
Im Gegensatz zu den informationsökonomischen Ansätzen konzentriert sich die Arbeit von BELL nicht allein auf den Wissensanteil des Bruttosozialprodukts und die Ausbildung weiterer Wirtschaftssektoren, sondern untersucht eine weitergehende sozialstrukturelle Entwicklung in Hinsicht auf die Ausbildung einer Informationsgesellschaft.
Die nicht ohne Einfluß gebliebene Theorie der nachindustriellen Gesellschaft beschränkt sich jedoch schon vom Ansatz her auf die Untersuchung der Veränderungen in der Sozialstruktur, so daß wesentliche Aspekte einer gesellschaftlichen Entwicklung ausgeblendet bleiben.
Von besonderer Bedeutung ist auch die Handhabe des Problems der Umweltzerstörung. Diese soll mit Hilfe der intellektuellen Technologie durch eine vorausschauende Planung verhindert werden. Allein dadurch ist die Möglichkeit gegeben, an einem dauerhaften Wirtschaftswachstum festzuhalten. Somit bleibt BELL im Grunde bei der industriegesellschaftlichen Hypothese einer linearen Entwicklung des gesellschaftlichen Fortschritts.
Genau bei dem Problem der Umweltzerstörung setzen die Vorstellungen von einer nichtlinearen Entwicklung an, wie sie vor allem von ULRICH BECK und ANTHONY GIDDENS in dem Ansatz zu einer reflexiven Modernisierung dargelegt werden, dessen Beschreibung das dritte Kapitel dieser Arbeit bildet.
Die reflexive Modernisierung stellt das lineare Modell der industriellen Moderne in Frage, da dieses die Probleme selbst erzeugt und auch die Lösungen nach demselben Schema zu finden sucht, was wiederum die Probleme verschärft. Deshalb wird die Moderne selbst modernisiert, wie die Wendung reflexiv andeutet, auf sich selbst angewandt.
Deshalb zeigt genau dieses Phänomen die Grenzen eines linearen Fortschritts auf, bzw. daß es eine lineare Entwicklung aufgrund der vernachlässigten Vorgänge nicht geben kann.
Was sind nun aber die Grundlagen der reflexiven Modernisierung, und wie paßt sich diese in ein Modell der Informationsgesellschaft ein?
Der Ansatz der reflexiven Modernisierung kann als der Versuch angesehen werden, sich gegenüber den Theorien eines linearen Fortschritts in der Moderne abzugrenzen. Die Möglichkeit der Anhäufung von Wissen, die die Gesellschaft immer durchschaubarer macht, wird bestritten, da einerseits die Nebenfolgen des Fortschritts denselben konterkarieren, also der Fortschritt selbst neue Probleme schafft, die mit den traditionellen Methoden der modernen Wissenschaft nicht zu beseitigen sind. Andererseits besteht eine Reflexivität in dem Sinne, daß die Ergebnisse der Forschung über die Gesellschaft wieder auf die Gesellschaft zurückwirken. Deshalb erzeugt die Soziologie nicht mehr Gewißheit über den Zustand der Gesellschaft, sondern ist ein Teil in einem reflexiven Prozeß.
Die reflexive Modernisierung kreiert ein neues Bild von der Moderne, daß die von der Annahme der Linearität vernachlässigten Effekte der Moderne mit einbezieht.
Damit definiert sich die reflexive Modernisierung durch eine Abgrenzung gegenüber der klassischen Soziologie, der weiter nachzugehen in diesem Rahmen leider nicht genug Platz bleibt.
Innerhalb dieser gemeinsamen Abgrenzung gegenüber der von BECK so genannten einfachen Moderne existieren allerdings auch Unterschiede im Ansatz zur Erklärung der reflexiven Moderne. Aus diesem Grunde ist das entsprechende Kapitel in einen Abschnitt über den Ansatz von ULRICH BECK sowie einen Abschnitt über den Ansatz von ANTHONY GIDDENS geteilt.
Entspricht dies den nicht immer sehr großen Differenzen dieser beiden Ansätze, so hätte auch eine Gliederung nach den beiden entscheidenden Begriffen dieses Kontextes erfolgen können: der Globalisierung und der Individualisierung. Allerdings würde bei einer Vermischung die Spezifität der jeweiligen Ansätze und Begriffe leicht verlorengehen können. Deshalb wurde der Weg einer separaten Darstellung gewählt, deren Ergebnisse anschließend gemeinsam im Zusammenhang mit der reflexiven Modernisierung verwendet werden.
Die Globalisierung und die Individualisierung können als die Pole der Auflösung der ersten, der industriellen Moderne angesehen werden. Die Globalisierung spielt aufgrund der übernationalen Auswirkungen der Umweltzerstörung, wie dies im besonderen durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl deutlich wurde, aber auch durch eine sich globalisierende Wirtschaft, besonders in den transnationalen Konzernen und im elektronischen Netz der Finanzmärkte, eine entscheidende Rolle bei der Auflösung der Kategorien der ersten Moderne. Unterschätzt werden dürfen dabei aber auch nicht die Auswirkungen der kulturellen Globalisierung, die in Form von Satellitenfernsehen und des Internets die Welt immer weiter vereinheitlicht.
Den Gegenpol der Globalisierung stellt die Individualisierung dar, die durch die Auflösung der Traditionen die persönliche Biographie jedes einzelnen einem Zwang zur freien Gestaltung unterwirft. Das Leben bestimmende Kategorien wie Familie oder gesellschaftliche Klassen verschwinden oder sind einer Neuordnung unterworfen, die prinzipiell alle Lebensumstände entscheidbar macht.
Die Auflösung der traditionellen Zusammenhänge, die alles entscheidungs- und begründungspflichtig macht, führt zu einer verstärkten gesellschaftlichen Komplexität, die eine allgemeine Unsicherheit unter den Individuen verbreitet.
Daraus ergibt sich ein Begriff der Informationsgesellschaft, indem in dieser eine Reduktion der Komplexität und der Unsicherheit erreicht wird. Dieser Ansatz geht also über den von der Information als ökonomischem Gut hinaus, da die Informationen nicht nur vorhanden und verkäuflich sein müssen, sondern einen bestimmten Zweck erfüllen, den eines Orientierungsmittels in einer Welt der tendenziell überfordernden Handlungsvielfalt.
Einen Begriff von der Informationsgesellschaft zu finden, ist demnach auch der Zweck des ersten Teiles dieser Arbeit. Dabei kommt es nicht darauf an, die Informatiosgesellschaft selbst darzustellen, sondern vielmehr einen Ansatz zu finden, der mögliche gesamtgesellschaftliche Entwicklungen erfaßt und nicht nur auf die Verbreitung von Multimediatechniken abhebt.
Der oft sehr willkürliche Gebrauch des Begriffs Informationsgesellschaft ist der Grund dafür, daß er im Titel dieser Arbeit in Anführungszeichen gesetzt wird. Ein allgemein anerkanntes Bild von einer Informationsgesellschaft existiert nicht; sie ist meist nur ein Schlagwort im Zusammenhang mit der Ausbreitung und Vernetzung von Computern und den Perspektiven der Verknüpfung verschiedener technischer Medien.
Den Ansatz der reflexiven Modernisierung in einen Zusammenhang mit der Informationsgesellschaft zu bringen, hat den Vorteil, daß einerseits ein großer gesellschaftlicher Entwicklungszusammenhang eingebracht wird, der sich von der auf wirtschaftliche Aspekte verengten Sicht lösen kann und daß sich andererseits die Perspektive einer möglichen Reduzierung der in der reflexiven Moderne verstärkten Komplexität auftut.
Der hier schließlich gefundene Begriff der Informationsgesellschaft legt seinen Schwerpunkt somit auf die Bewältigung der gesellschaftlichen Komplexität. Auch die Entwicklung der computervermittelten Kommunikation, wie sie sich mit dem Internet verbreitet, trägt demnach nicht automatisch zu der Entwicklung einer Informationsgesellschaft bei. Vielmehr spielt die Art der Verwendung dieses neuen Mediums eine entscheidende Rolle. In Zusammenhang mit dem Internet stellt sich also die Frage, welche Nutzungsmöglichkeiten in den Vordergrund gestellt werden, wonach sich dann die Auswirkungen des Internets auf die Entwicklung der Informationsgesellschaft bewerten lassen.
Diese Sichtweise entfernt sich von der Ansicht, das Internet als solches sei schon als Teil der oder die Informationsgesellschaft selbst anzusehen. Dabei wird übersehen, daß das Internet nur die technische Infrastruktur für neue Kommunikationsverhältnisse darstellt, die von den Menschen mit Inhalten gefüllt werden müssen. Die Technik an sich ist neutral und bestimmt also auch nicht die Form einer sich ausbildenden Gesellschaft. Im Sinne einer Komplexitätsreduktion kann das Internet mit seinen neuen medialen Eigenschaften dazu genutzt werden, eine Kommunikationsstruktur zu etablieren, die einer Einstellung der gesellschaftlichen Institutionen auf die gewachsene Komplexität förderlich ist.
Vor allem macht dies deutlich, daß eine bestimmte Entwicklung nicht von vornherein vorgegeben ist, sondern wesentlich von konkreten Maßnahmen abhängt; seien dies technologiepolitische im Bereich des Internets oder gesellschaftspolitische. Daß eine gesellschaftliche Veränderung im Gange ist, wird auf vielfältige Weise deutlich. Die reflexive Modernisierung stützt sich dabei besonders auf die Veränderungen in Folge der wachsenden Umweltzerstörungen, den gesellschaftlichen Wandel durch die Entwicklung des Feminismus und auf den Umschwung in Mittel- und Osteuropa im Jahre 1989, der die starren Strukturen des kalten Krieges aufgebrochen hat, so daß die Defizite des westlichen Systems erst klar erkennbar werden konnten.
Diese Veränderungen, die einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Komplexität leisten, implizieren keine klare Entwicklungslinie, sondern lassen die Möglichkeit verschiedener Wege offen. Deshalb versucht die reflexive Modernisierung nicht nur Wege zu einer partizipatorischen, direkteren Demokratie, die besser der gewachsenen gesellschaftlichen Komplexität entsprechen kann, aufzuzeigen, sondern beschreibt auch eine Entwicklung, die ULRICH BECK als Gegenmodernisierung bezeichnet hat. Insbesondere der vieldiskutierte Fundamentalismus, sie es nun religiöser oder nationalistischer, muß hierzu gerechnet werden.
Gegenmoderne Entwicklungen, die sich inhaltlich bei dem Gedankengut vergangener Epochen bedienen, um eine bestimmte Handlungsweise zu rechtfertigen, versuchen ebenfalls die gesellschaftliche Komplexität zu reduzieren. Mit dem Vokabular von VILÉM FLUSSER beschrieben, stellen sie politischen Kitsch dar, da sie sich ihre versatzstückhaften Theorien aus dem kulturellen Abfall recyceln. Gegenmoderne Strömungen sind also ein Versuch, die kulturelle Weiterentwicklung, die eine kulturelle Entropie, den Verfall kultureller Informationen, voraussetzt, aufzuhalten. Es handelt sich um das Gerede, das dem Gespräch gegenübersteht, welches durch dialogische Kommunikation neue kulturelle Informationen herstellt. Während das Gerede die Masse der Informationen durch das Recycling des Halbverfallenen erhöht, vermehrt das Gespräch die Informationsmenge durch Kommunikation.3
Eine Informationsgesellschaft weist folglich eine dialogische Kommunikationsstruktur auf. Damit ist auch die notwendige Ausrichtung des Internets vorgezeichnet. Es wird generell als ein Medium angesehen, daß gegenüber den zur Zeit herrschenden Medien wesentliche Unterschiede aufweist. Hervorzuheben ist die Möglichkeit der Kommunikation sowohl eines einzelnen mit vielen, als auch vieler mit vielen und einzelner untereinander. Es werden also die Möglichkeiten des Fernsehens oder der Zeitung mit denen des Briefs oder des Telefons und denen einer Gruppendiskussion verbunden. Dies geschieht über die verschiedenen Dienste des Internets, die verschiedene Kommunikationsweisen unterstützen. Das Internet Relay Chat (IRC) z.B. ermöglicht Gruppendiskussionen in Echtzeit, wobei die Teilnehmer über die ganze Welt verstreut sein können. Mailinglisten dagegen gleichen eher dem System des schwarzen Brettes, während per E-mail auch private Korrespondenz unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt werden kann.4
Der zweite Teil dieser Arbeit setzt sich mit der möglichen Gestalt einer politischen Öffentlichkeit des Internets auseinander, wobei die Perspektiven einer reflexiv modernen Informationsgesellschaft im Auge behalten werden sollen.
Der Begriff des Internets wird in diesem Zusammenhang nicht zu eng gesehen. Da sich die Ausbildung einer "virtuellen" Gesellschaft wohl gerade erst in einer Anfangsphase befindet, läßt sich nicht klar sagen, welcher Art der Rahmen ist, in den sie zukünftig gebettet sein wird. Heute läßt sich dafür nur das Internet ansehen, wobei dieses für alle Computernetzwerke stehen soll, die eine größere Gruppe von Menschen miteinander verbindet, zumal die meisten, auch lokalen Netzwerke, mittlerweile an das Internet angebunden sind.
Besonders auch in Hinsicht auf eine Einbindung von akustischer und visueller Kommunikation ebenso wie auf eine zu erwartende erhebliche Ausweitung der Partizipation an den Computernetzwerken, wird sich die Struktur des Internets oder etwaiger Nachfolgenetzwerke umfassend verändern. Es scheint wenig sinnvoll, eine Untersuchung der Verhältnisse in den Netzwerken mehr als notwendig auf die technische Struktur zu beziehen, wenn diese sich ständig weiterentwickelt und ändert.
Das soll jedoch nicht bedeuten, daß der Aufbau der Netze keine Rolle spielt. Vielmehr geht es darum, die gesellschaftlichen Aspekte des Internets zu untersuchen, ohne sich in der Beschreibung der verschiedenen Dienste zu verlieren, die mittlerweile weitreichend bekannt sein sollten und sich zudem auch in Nuancen permanent weiterentwickeln, ohne allerdings die medialen Grundlagen zu verändern.
Um die politische Dimension des Internets zu untersuchen, sollte es ausreichend sein, seine Eigenschaften als Medium aufzugreifen und auf bestimmte Dienste, die grundsätzlich als bekannt vorausgesetzt werden, nur im konkreten Zusammenhang einzugehen.
Als Problem stellt sich die Tatsache dar, daß viele Überlegungen in bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen in den Computernetzen mögliche zukünftige Entwicklungen einbeziehen, so daß sie in mancher Hinsicht spekulativ bleiben.
Damit eine sozialwissenschaftliche Untersuchung aber nicht zur "Social Fiction" gerät, sollen solche Überlegungen hier mit Zurückhaltung behandelt werden. Im Mittelpunkt stehen vielmehr absehbare Entwicklungen und bereits bestehende Verhältnisse.
Das Kapitel zur Globalisierung und Lokalisierung beschreibt die Erscheinungsformen der virtuellen Gemeinschaften. Dieser Begriff bezieht sich auf die in Computernetzwerken ent- und bestehenden Gemeinschaften, die aufgrund der speziellen Eigenschaften der computervermittelten Kommunikation ortsunabhängig sind. Die virtuellen Gemeinschaften passen sich in das von GIDDENS aufgestellte Begriffspaar der Dislozierung und Rückbettung ein. Einerseits stehen sie im Zeichen der raumzeitlichen Entbettung, die die Verankerung des Individuums in seinem lokalen, an Traditionen gebundenen Umfeld auflöst, andererseits entsteht die Neigung des Individuums, sich in einem lokalen Zusammenhang rückzubetten, der allerdings enttraditionalisiert ist, dem Individuum somit die Entscheidung, welche Bindungen es eingeht, überläßt bzw. aufzwingt.
Die lokale Rückbettung im Internet kann auf verschiedene Weise gesehen werden. Einerseits entstehen geographisch lokale Gemeinschaften, deren Mitglieder in einer bestimmten Gegend wohnen. Andererseits bauen sich Gemeinschaften nach einer thematischen Lokalität auf. Sie vereinen Gruppen von Individuen, die sich aufgrund von gemeinsamen Interessen zusammenfinden, deren geographischer Standort jedoch nicht einheitlich ist.
Eine thematische Orientierung als einen lokalen Aspekt zu betrachten, läßt sich hinsichtlich des Internets rechtfertigen, da es genau genommen im Raum dieser vereinten Netzwerke gar keine geographische Entfernung mehr gibt, bzw. alle Orte aufgrund einer Echtzeitverbindung gleich weit entfernt sind.
Das System der virtuellen Gemeinschaften bildet gleichsam ein Netzwerk sich überschneidender Räume, das schließlich als eine neue Form der Öffentlichkeit angesehen werden kann. Diese Öffentlichkeit stellt die Grundlage der politischen Dimension des Internets dar.
Das sechste Kapitel baut auf dieser Öffentlichkeit die Vorstellung von einem politischen System auf, das sich an die Folgerungen der reflexiven Modernisierung anlehnt.
Eine netzwerkartig strukturierte Zivilgesellschaft, die ein vielfach kritisiertes konkurrenzdemokratisches System modernisiert oder erweitert, kann die Bevölkerung auf einer breiten Basis an einer Politik partizipieren lassen, die auf deliberative Entscheidungsprozesse, flache Hierarchien sowie weitgehende Selbstorganisation setzt. Dabei stellt das Internet den medialen Rahmen, der die notwendigen kommunikativen Voraussetzungen schaffen kann.
Die computervermittelte Kommunikation des Internets schaltet sowohl die Agenda-Setting-Funktion als auch die Gatekeeper-Funktion der konventionellen Massenmedien aus, wodurch eine unvermittelte Kommunikationsform die Oberhand gewinnt. Dies bedeutet, daß keine inhaltlichen Filter bestimmte Themen aus der politischen Öffentlichkeit heraushalten können. Die netzwerkartige Struktur ermöglicht potentiell die Verbindung jedes mit jedem, so daß eine selbstorganisierende Struktur erst möglich wird.
Die institutionelle Ausgestaltung des politischen Systems kann sich dabei sowohl auf neu geschaffene als auch auf die Umgestaltung der bestehenden Institutionen stützen.
Es zeigt sich, daß das Computernetzwerk als Medium schon bestehende netzwerkartige Organisationsstrukturen wie die der sozialen Bewegungen sinnvoll ergänzen kann, wobei - repräsentative - Hierarchien abgebaut werden können und eine umfassendere politische Partizipation möglich wird.
Doch gemäß den Prämissen der reflexiven Modernisierung ist eine solche Entwicklung nicht vorherbestimmt.
Ob das Internet zur gesellschaftliche Selbstorganisation verwendet wird, hängt davon ab, ob die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Dies ist eine Herausforderung an die Technologiepolitik, die entsprechende Weichen schon während des Ausbaus der Netze stellen muß.
So ergibt sich abschließend, daß eine Informationsgesellschaft im Sinne einer Politik der reflexiven Modernisierung, die die gesteigerte gesellschaftliche Komplexität und die daraus folgende Unsicherheit der Menschen zu reduzieren vermag, unter Einbeziehung des Internets nur entstehen kann, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Wird das Internet allein als virtueller Marktplatz betrachtet, so besteht die Gefahr, daß die kommunikativen Potentiale nicht ausgenutzt werden.
Das Internet könnte sich dann zu einem politikfreien Raum entwickeln, wie er z.B. von RAINER RILLING schon ausgemacht wird.
Die politische Dimension des Internets wird hier somit als ein demokratisches Kommunikationspotential gesehen, daß sich in den Entwurf einer Informationsgesellschaft einfügt, der sich an den Perspektiven der reflexiven Modernisierung orientiert.
Diese Herangehensweise ist sicher im Vergleich mit den verbreiteten Auffassungen von einer Informationsgesellschaft etwas ungewöhnlich. Doch der gesellschaftstheoretische Ansatz der reflexiven Modernisierung, der sich von der linearen Fortschrittsauffassung der industrialisierten Moderne abzusetzen sucht, fügt die Entwicklungen im Bereich des Internets in einen umfassenderen gesellschaftlichen Wandel ein, wodurch eine isolierte Reflexion über das Internet vermieden und die Einbettung in einen größeren Zusammenhang erreicht wird.
Bei der Anfertigung dieser Arbeit wurde auch eine nicht unerhebliche Anzahl von Texten verwendet, die als Online-Publikationen im Internet zur Verfügung stehen. Für diese relativ neue Art der Publikation muß erst noch eine standardisierte Zitation entwickelt werden. Die darauf bezogenen Probleme bestehen darin, daß Angaben von Ort und Datum des Erscheinens mitunter nicht bekannt sind. Adressen, unter denen die Publikationen gefunden wurden, könnten möglicherweise zwischenzeitlich nicht mehr existieren: Ein Wiederauffinden der Publikationen könnte so auf Schwierigkeiten stoßen. Indessen herrscht bei wissenschaftlichen Internetadressen zumeist eine gewisse Stabilität.
Auch ist es oftmals nicht möglich, bestimmten Textstellen eine Seitenangabe zuzuordnen. Diesem Problem wird, soweit möglich, mit der Angabe der Kapitel, in denen sich die betreffende Textstelle befindet, begegnet. Die Quellenangabe beinhaltet neben der Internetadresse soweit möglich auch einen anderen Veröffentlichungsort, zumal sehr viele im Internet veröffentlichte wissenschaftliche Texte zuvor in einer Zeitschrift erschienen sind.5
Viele gesellschaftswissenschaftliche Untersuchungsansätze zum Internet sind noch etwas fragmentarisch. Dennoch existiert schon eine relativ große Materialfülle, die nicht zuletzt auf den einfachen Vorgang der Veröffentlichung im Internet selbst zurückgeht, wobei natürlich auch der unproblematische Zugang zu diesen Arbeiten eine Rolle spielt.
Allerdings sind die im Internet zu findenden Texte von sehr unterschiedlicher Qualität. Neben wissenschaftlich einwandfreien Arbeiten stehen auch einige unausgereifte, die aber trotzdem nicht ignoriert werden sollten, da auch in ihnen neue Denkansätze zu finden sein können. Dies spielt besonders in einer Situation eine Rolle, in der die Forschung noch weitgehend am Anfang steht, wie es in Hinblick auf das Internet der Fall ist.
Unter Berücksichtigung der noch nicht besonders weit fortgeschrittenen Forschungen im Bereich der gesellschaftlichen Entwicklungen des Internets - dies betrifft besonders auch die deutsche Situation - ist es angeraten, Literaturangaben möglichst umfassend zu gestalten, um etwaige folgende Recherchen zu unterstützen.
Aus diesem Grund ist das Literaturverzeichnis am Ende dieser Arbeit recht umfangreich geraten. Es bleibt allerdings anzumerken, daß keine erschöpfende Literaturliste zur sozialwissenschaftlichen Internetforschung entstanden ist, sondern nur die im Laufe der Entstehung dieser Untersuchung bearbeiteten Texte aufgenommen wurden.
Fußnoten
1
Bundesministerium für Wirtschaft: Info 2000. Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, Bonn Februar 1996, S. 14. zurück
2
Vgl. Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog (Hrsg.): Multimedia. Eine revolutionäre Herausforderung. Perspektiven der Informationsgesellschaft, Stuttgart 1995; Asrad Torres: Die große Illusion vom demokratischen Internet, in: Le Monde Diplomatique, Nr.4770, 10.11.1995, S. 4-5; Achim Bühl: CyberSociety. Mythos und Realität der Informationsgesellschaft, Köln 1996, S. 161ff; Wolfgang Bühler: das Kaufhaus im Wohnzimmer, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.): Die Informationsgesellschaft. Fakten, Analysen, Trends, Bonn 1995, S. 36; Michael Otto: Homeshopping - eine virtuelle Einkaufswelt eröffnet sich zu Hause, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), a.a.O., S. 37.zurück
3
Vgl. Vilém Flusser: Die Revolution der Bilder. Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design, Mannheim 1995, S. 9ff. zurück
4
Die Geschichte und die Struktur des Internets soll hier als bekannt vorausgesetzt werden. Als Einführung in die Thematik des Internets vgl. Brendan P. Kehoe: Zen und die Kunst des Internet. Kursbuch für Informationssüchtige, München 1994.
Paul Gilster: Suchen und Finden im Internet, München, Wien 1995. Dies ist das Nachfolgewerk von Paul Gilster: Der Internet Navigator, München, Wien 1994.zurück
5
Die Zitierung von Online-Quellen in dieser Arbeit richtet sich nach den Vorgaben von Jens Bleuel: Zitieren von Quellen im Internet, 11. November 1995, Online in Internet: URL. http://pobox.com/~publish, vgl. auch Martin Rost: Soziologie-FAQ, regelmäßig neue Versionen, online in Internet: URL. http://www.netuse.de/~maro. zurück